Chris­t­ian Huberts, Jahrgang 1982, studierte »Kul­tur­wis­senschaften und ästhetis­che Prax­is« an der Uni­ver­sität Hildesheim und arbeit­et seit 2009 erfol­gre­ich als kul­tur- und medi­en­wis­senschaftlich­er Pub­lizist mit Sitz in Berlin. Sein inhaltlich­er Fokus ist die dig­i­tale Spielkul­tur in allen Facetten. Er tritt regelmäßig als Experte für dig­i­tale Spiele bei Kul­turver­anstal­tun­gen sowie im Rund­funk und Fernse­hen auf. Aktuell unter­richtet er an der Uni­ver­si­ty of Applied Sci­ences Europe in Berlin zur Geschichte und The­o­rie von Spie­len. Zulet­zt unter­stützte er als Asso­ciate Pro­duc­er das Berlin­er Stu­dio waza! Games bei der Entwick­lung der poli­tis­chen Bil­dungs-App Kon­ter­bunt. Für die Stiftung Dig­i­tale Spielekul­tur arbeit­et er als Pro­jek­t­man­ag­er für den »Pitch Jam: Mem­o­ry Cul­ture with Games«.

 

Sie sind Kul­tur­wis­senschaftler und forschen zu dig­i­tal­en Spie­len. Was bedeutet es denn, eine kul­tur­wis­senschaftliche Per­spek­tive auf Spiele zu richten?

Die Kul­tur­wis­senschaft umfasst viele ver­schiedene – beispiel­sweise lit­er­atur­wis­senschaftliche oder anthro­pol­o­gis­che – Zugänge auf kul­turelle Arte­fak­te und Prak­tiken, lässt sich also nicht auf eine einzelne Per­spek­tive herun­ter­brechen. Generell geht es immer um die Frage, wie sich Gesellschaften in den Gegen­stän­den (z.B. Games), die sie pro­duziert, und den rit­u­al­isierten Hand­lun­gen, die sie aus­führt, wider­spiegelt. Bezo­gen auf Com­put­er­spiele kann das zum Beispiel bedeuten, danach zu fra­gen, was sie uns über unsere Kul­tur zu erzählen haben.

Mich treibt aktuell etwa der starke Leis­tungs­fokus viel­er Games um, der weit über gemein­sames Vergnü­gen und das Über­winden selb­st gesteck­ter Hin­dernisse hin­aus­ge­ht. Ob wir bere­it sind, viel Zeit und Arbeit in ein Spiel zu investieren, entschei­det oft darüber, ob wir über­haupt daran teil­nehmen kön­nen, in Com­mu­ni­ties ein- oder aus­geschlossen, vielle­icht sog­ar ange­grif­f­en wer­den. Welche Kul­tur pro­duziert solche Gegenstände?

Kul­turhis­torisch kann man dann gut beobacht­en, dass die Anfänge des Medi­ums in den Spiel­ereien von Wissenschaftler*innen und Informatiker*innen auf Mess- und Rechenin­stru­menten lagen. Während der neolib­eralen Refor­men viel­er Staat­en hat­ten Games dann ihren kul­turellen Durch­bruch. Aus der Sicht der Kulturwissenschaftler*in also kein Wun­der, dass Gegenkul­turen wie Casu­al Games oder Ambi­ence Action Games ein Imageprob­lem haben.

 

In Ihrem Text “Mein Dampf” sprechen Sie über recht­sex­treme Grup­pen auf Steam – was haben Sie dort gefunden?

Im Jahr 2018, als ich den Text für das WASD-Bookazine geschrieben habe, ließen sich auf Steam prob­lem­los und ohne viel Aufwand tausende Accounts, Nutzer­in­halte und Grup­pen mit nation­al­sozial­is­tis­chen Kennze­ichen und Per­sön­lichkeit­en – einige davon in Deutsch­land ver­boten –, recht­sex­tremen Codes sowie diskri­m­inieren­den und volksver­het­zen­den Aus­sagen find­en. Vieles davon machte den Ein­druck bloßer Pro­voka­tion zur indi­vidu­ellen Pro­fil­ierung, aber zwis­chen der offen­sichtlichen – und meist auch schlecht­en – Satire befan­den sich auch ganz klar recht­sradikale Äußerun­gen und Inhalte. User die den Führereid schwören, zur Vertei­di­gung der „weißen Rasse“ aufrufen, den Holo­caust leug­nen oder auf den Dis­cord-Serv­er der mit­tler­weile eingestell­ten, recht­en Troll-Gruppe „Recon­quista Ger­man­i­ca“ ein­laden. Vieles davon lässt sich auch heute noch find­en. Zwar greift Steam inzwis­chen auch härter durch, vor allem hat es die Plat­tform aber für Außen­ste­hende schwieriger gemacht, das Aus­maß der Ver­ro­hung exakt einzuschätzen. An der Ver­bre­itung von prob­lema­tis­chen Inhal­ten unter den Usern ändert das aber natür­lich nichts.

 

Sind das Einzelfälle oder han­delt es sich um ein sys­tem­a­tis­ches Problem?

So para­dox es klin­gen mag – bei­des. Es han­delt sich um Einzelfälle, insofern es keine wirk­lich organ­isierten Struk­turen gibt, die hier gezielt Ver­hal­ten steuern wür­den. Es steckt jedoch dur­chaus ein sys­tem­a­tis­ches Prob­lem hin­ter den vie­len Einzelfällen. Rechte Grup­pierun­gen wie die US-amerikanis­che soge­nan­nte „Alt-Right“ haben ihre Strate­gien längst an die neuen Bedin­gun­gen des Inter­nets angepasst. Statt sich ana­log mit Glatze und Springer­stiefeln in der öffentlichen Wahrnehmung unmöglich zu machen, ver­suchen sie nun die Kul­tur – beson­ders die Pop-Kul­tur – zu kapern, um auf diesem Wege ihre Ide­olo­gie zu ver­bre­it­en. Und die Mit­tel der Wahl dabei sind Selb­stver­harm­lo­sung und Satire. Blickt man mit diesem Wis­sen auf Steam, wird hin­ter den vie­len pro­vokan­ten Einzelfällen eine ziem­lich erfol­gre­iche Pro­pa­gan­da-Kam­pagne sicht­bar. Und die meis­ten User sind sich dessen wahrschein­lich noch nicht ein­mal bewusst. Für sie ist Faschis­mus eine iro­nis­che Pose. Aber oft genug wieder­holt, arbeit­et sich die Ide­olo­gie den­noch in die Köpfe und lässt Antifaschis­ten wie Spaßbrem­sen aussehen.

 

Welche Rolle spie­len dig­i­tale Spiele und ihre Gemein­schaft­sräume bei der Radikalisierung?

Die Radikalisierung­sprozesse im Rah­men der neuen recht­sradikalen Bewe­gun­gen wer­den oft als „Alt-Right Pipeline“ beze­ich­net. Die Betrof­fe­nen durch­laufen drei Phasen: Nor­mal­isierung, Akkli­ma­tisierung und Dehu­man­isierung. Für die Spielekul­tur ist vor allem die erste Phase rel­e­vant. Wenn User auf Steam ungestört recht­sex­teme Sym­bole und Parolen ver­bre­it­en oder sog­ar offen die Tötung aller Juden fordern kön­nen, und sei es nur zum ‘Spaß’, so nor­mal­isiert das zumin­d­est eine bes­timmte Form radikaler Sprache. Gehören recht­sradikale Kennze­ichen und Phrasen erst zum „nor­malen“ Umgangston, fall­en lupen­reine und offen auftre­tende Nazis in der Com­mu­ni­ty gar nicht mehr auf. Die Gren­zen ver­schwim­men. Das erlaubt dann wiederum den Schritt der Akkli­ma­tisierung: Nazis und ihre Ide­olo­gie sind etwas, woran man sich nun gewöh­nt hat. Auf noch viel extremeren Plat­tfor­men wie 4Chan und 8Chan lässt sich das sehr gut beobacht­en. Es fällt dann sehr leicht, sich einem recht­sradikalen Clan, der Steam-Gruppe der Iden­titären Bewe­gung oder der Telegram-Gruppe von Oliv­er Janich anzuschließen. Schließlich weckt nichts davon mehr Mis­strauen. Im let­zten Schritt fol­gt dann die Dehu­man­isierung: in der neu gefun­de­nen Peer-Group wird ein Feind­bild ver­mit­telt und verin­ner­licht. Frauen, Juden, Geflüchtete – irgend­je­mand ist an allem Schuld und kann im Zweifels­fall nur mit Gewalt aufge­hal­ten werden.

 

Und die Spiele selbst?

Welche Rolle die dig­i­tal­en Spiele selb­st ein­nehmen, lässt sich schon schw­er­er sagen. Hier gibt es keine ein­fache Kausal­ität vom Spie­len eines Spiels zu recht­sex­tremen Posi­tio­nen. Von eini­gen Games lässt sich aber sagen, dass sie sich durch ihren krampfhaften Ver­such, poli­tisch neu­tral zu zeigen, sehr gut für die Vere­in­nah­mung für recht­sex­treme Pro­pa­gan­da eignen. „Hearts of Iron IV“ mag den Nation­al­sozial­is­mus nicht offen bewer­ben, durch das Auss­paren der Shoah und die Ent­poli­tisierung des NS-Regimes ermöglicht das Spiel jedoch sehr leicht die Rel­a­tivierung nation­al­sozial­is­tis­ch­er Ver­brechen: „Hitler did noth­ing wrong!“, wie es als Meme oft durch rechte Net­ze hallt. Schaut man in das – mit­tler­weile eingestellte – Neo-Nazi-Forum „Iron March“, kön­nen User dort selb­st den neuen „Wolfenstein“-Spielen etwas abgewin­nen. Zwar kriegen Nazis im Spiel ordentlich auf‘s Maul, aber ihr mod­ernes, hochtech­nisiertes und pop­kul­turell ansprechen­des Alter­nate-His­to­ry-Regime ist auch bei echt­en Faschis­ten beliebt. Das sind allerd­ings nur Ober­flächen. Ein struk­turelles Prob­lem lässt sich vielle­icht am ehesten durch Rück­griff auf den ein­gangs erwäh­n­ten Leis­tungs­fokus sehr viel­er Games erken­nen. Ein Phänomen wie „Gamer­Gate“ hat ein­drück­lich gezeigt, wie sich die im Kern willkür­lichen Leis­tungsansprüche von Com­put­er­spie­len zur Aus­gren­zung ganz­er User­grup­pen und der recht­fer­ti­gung von Gewalt instru­men­tal­isieren lassen. Bre­it­bart und Dai­ly Stormer mussten hier nur die gekränk­ten Egos abholen, die sich um ihre durch Gam­ing-Skill eroberte Deu­tung­shoheit beraubt fühlten. Com­put­er­spiele sind ein Paradies für solche mer­i­tokratis­chen Macht­struk­turen, die auch bei den Faschis­ten sehr beliebt sind. Die (ver­meintlich) Besseren und Nüt­zlicheren sollen herrschen.

 

Welche Maß­nah­men kön­nen wir ergreifen, um dem zu ent­geg­nen? Und welche Akteure sehen Sie in der Verantwortung?

Plat­tfor­men wie Steam wären auf jeden Fall in der Pflicht, ihre eige­nen Com­mu­ni­ty-Stan­dards strenger durchzuset­zen. Darin sind Hass-Botschaften näm­lich auch dann unter­sagt, wenn sie nur als Witz gemeint sind. Außer­dem muss über­all dort, wo Gam­ing-Com­mu­ni­tys ermöglicht wer­den auch eine Mod­er­a­tion stat­tfind­en. Diese muss außer­dem auf dem neuesten Stand der recht­en Sprach­codes und Pro­pa­gan­das­trate­gien sein und darf sich nicht durch vorgeschützte Satire oder ver­meintliche Dop­pel­bödigkeit an der Nase herum­führen lassen. Über­all dort, wo ganz klar gegen deutsches Recht ver­stoßen wird, etwa bei der Leug­nung des Holo­causts, sollte es zudem unbürokratis­che und unkom­plizierte Melde­mech­a­nis­men bei den zuständi­gen Behör­den geben. Zur spaßbe­fre­it­en Zone dür­fen die Foren aber auch nicht wer­den: Recht­sex­treme führen heute einen Kul­turkampf und dem lässt sich nur mit kreativ­en und involvieren­den Strate­gien begeg­nen. Es braucht attrak­tive und authen­tis­che Gege­nange­bote zu den lei­der sehr effek­tiv­en, iro­nis­chen Posen der Nazis. Hier ste­hen auch Spieleentwickler*innen in der Ver­ant­wor­tung, ihre Schöp­fun­gen nicht mehr durch missver­standene Neu­tral­ität weit in das rechte Spek­trum anschlussfähig zu hal­ten und damit der recht­sex­tremen Pro­pa­gan­da als Spielfeld zu über­lassen. Es ist an der Zeit, sich zumin­d­est klar gegen Rechts zu posi­tion­ieren und diese Posi­tion­ierung auch sicht­bar nach außen zu tra­gen. Dafür braucht es weit­er­hin bre­ite, zivilge­sellschaftliche Bünd­nisse. Faschis­mus ist auch ein Prob­lem der Spielekul­tur, vor allem aber ein gesamt­ge­sellschaftlich­es und über Lan­des­gren­zen hin­aus existieren­des Problem.

 

Wo kann man sich über diese The­men weit­er informieren?

Etwas älter und mit Vor­sicht zu genießen ist Andrea Nagles 2017 erschienenes Buch „Kill All Normies“. Sie stimmt für mein Empfind­en etwas zu unkri­tisch auf rechte Erzählmuster über linke Poli­tik ein, liefert aber eine lesenswerte Analyse des Kul­turkampfs von Rechts. In den ver­gan­genen Monat­en sind einige neue Büch­er zur Online-Radikalisierung erschienen, die ich alle sehr empfehlen kann – Schwarz’ „Has­skrieger“ (2020), Stege­manns und Musyals „Die rechte Mobil­machung“ (2020), Ebn­ers „Radikalisierungs­ma­chi­nen“ (2019), Quents „Deutsch­land rechts außen“ (2019). Let­ztere bei­de gibt es aktuell auch sehr gün­stig bei der Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung zu bestellen. Innu­en­do Stu­dios bietet mit der YouTube-Videoserie „The Alt-Right Play­book“ einen gute Ein­führung in rechte Radikalisierungsstrate­gien, z.B. wie man einen „Normie“ radikalisiert. Außer­dem arbeit­et die Amadeu Anto­nio Stiftung ger­ade an dem Pro­jekt „Good Gam­ing – Well Played Democ­ra­cy“ und informiert auf belltower.news regelmäßig über rechte Umtriebe im Netz.