Am 10. Februar erscheint Hogwarts Legacy, ein bereits vor Release viel diskutiertes Open-World-Rollenspiel im Universum der Harry-Potter-Bücher von Joanne K. Rowling. Die Spiel-Handlung dreht sich jedoch nicht um Harry Potter, sondern erzählt eine eigene Geschichte im Kontext drohender Goblinaufstände im 19. Jahrhundert. Trotzdem: Das Spiel wird von vielen Harry-Potter-Fans heiß erwartet, weil es im Marketing u.a. verspricht, auch bekannte Orte in und um Hogwarts zum Handlungsort zu machen.
Gleichzeitig brodeln Debatten um das Spiel schon länger und das auf so vielen Ebenen, dass man schnell den Überblick verlieren kann. Worum genau es im Detail dabei geht und warum man sich zumindest gut überlegen sollte, ob man Hogwarts Legacy wirklich unterstützen möchte, haben wir hier nochmal zusammengefasst.
Inhalt
- 1 J.K. Rowlings Transfeindlichkeit
- 2 Was hat Hogwarts Legacy mit Rowlings Transfeindlichkeit zu tun?
- 3 Aber sollte man nicht die Entwickler*innen unterstützen, die an Hogwarts Legacy mitgearbeitet haben?
- 4 Hogwarts Legacy und Antisemitismus
- 5 Sollte man Hogwarts Legacy boykottieren?
- 6 Weitere Artikel und Ressourcen zum Thema
J.K. Rowlings Transfeindlichkeit
Der wichtigste Grund für die Kritik an Hogwarts Legacy bezieht sich nicht einmal auf das Spiel selbst, sondern auf die Autorin der Harry Potter-Bücher: Joanne K. Rowling. Rowling ist schon länger eine der wichtigsten und vor allem sichtbarsten TERFs im englischsprachigen Raum, besonders im Vereinigten Königreich.
Die Abkürzung “TERF” steht dabei für “Trans Exclusionary Radical Feminist”, womit Feminist*innen gemeint sind, die u.a. behaupten, dass es nur zwei Geschlechter gäbe und diese Geschlechter rein durch körperliche Merkmale zu bestimmen seien. In Folge behaupten TERFs sehr oft, dass trans Frauen eigentlich Männer seien und verneinen ihre Identität oder sogar ihre Existenz. Wo sich individuelle TERFs positionieren, variiert, gerade in ihrer Aggression und Radikalität, aber allen ist gemeinsam, dass sie trans Personen ihre Daseinsberechtigung absprechen. Im deutschsprachigen Raum greifen diese Leute z.B. immer wieder trans Personen wie die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer an, indem sie sie gezielt misgendern oder sogar ganze Hasswellen lostreten. Transinklusive Feminist*innen benutzen deshalb teilweise auch den Begriff der “FARTs” als Abkürzung für “Feminism Approriating Ridiculous Transphobe”, um zu verdeutlichen, dass TERFs sich Feminismus zwar oberflächlich aneignen, aber nicht wirklich feministische, sondern transfeindliche Ziele verfolgen.
Die Anfänge von Rowlings Transfeindlichkeit
Wie lange Rowling sich schon genau als TERF oder “gender critical” – wie sich die Bewegung im englischsprachigen Raum gerne selbst nennt – versteht, ist nicht ganz bekannt. Ihre erste eindeutige öffentliche Äußerung dazu hat sie im Dezember 2019 über Twitter getätigt, als sie ihre Solidarität mit Maya Forstater bekundet hat. Forstater wiederum hatte zuvor bereits transfeindliche Äußerungen getwittert und deshalb ihren Job bei einem Think Tank verloren, wodurch sie eine der ersten TERFs wurde, die international Schlagzeilen machte.
Auch vorher hatte es schon Gerüchte über Rowlings Transfeindlichkeit gegeben, doch mit diesem unterstützenden Tweet bestätigte sie diese Haltung zum ersten Mal öffentlich. Im Juni 2020 legte sie einen Blogpost nach, in dem sie eine Reihe nachweislich unwahrer, transfeindlicher Narrative aufgriff. Darunter fielen die Behauptung, dass Transsein nur ein Trend sei, dem junge Mädchen verfielen, um Sexismus zu entfliehen, sowie die diskriminierende Erzählung, trans Frauen seien angeblich Männer, die sich als Frauen verkleideten, wogegen TERFs sich angeblich nur wehrten. Bei alldem handelt es sich um falsche Behauptungen. Tatsächlich erleben trans Personen immer wieder Diskriminierung wie etwa in Form von Trans-Misogynie, d.h. also keine trans Person “entkommt” Diskriminierung durch ihr Outing oder eine Transition. Außerdem gibt es nicht mehr trans Männer als Frauen und der Mythos, der trans Personen pauschal als Sexualstraftäter*innen darstellt, ist eine Fortsetzung von ähnlichen Mythen, die früher besonders zur Verunglimpfung homosexueller Männer erzählt wurden.
Rowlings Transfeindlichkeit heute
Seitdem geht Rowling mit ihren transfeindlichen Ansichten recht offen um und teilt so z.B. immer wieder klar transfeindliche Artikel wie etwa einen Beitrag, der trans Personen in die Nähe von Sexualstraftäter*innen rückt.
Wichtig ist bei ihren Äußerungen unter anderem, dass Rowling besonders stark Bezug auf die britische und insbesondere schottische Politik und transfeindliche Aktivist*innen im Vereinigten Königreich nimmt. Sie ist also nicht bloß pauschal transfeindlich in ihren Ansichten, sondern hat mit ihrem eigenen Aktivismus auch ganz konkrete Anliegen und Gesetzesentwürfe im Blick. In der Vergangenheit hatte sie außerdem öffentlich zugegeben, dass ihr die Kritik an ihrem Aktivismus egal sei, solange sie weiter Geld mit ihren Büchern und dem Franchise verdient. Das ist auch deshalb relevant, weil Rowling durch ihren Erfolg als Autorin das Geld und den Einfluss hat, um transfeindliche Gruppen und ihre Vorstöße finanziell und ideell zu unterstützen. Mit anderen Worten: Rowling wertet den Erfolg jedes neuen Ablegers der Harry Potter-Universums auch als Erfolg für sich selbst und ihre politische Agenda.
Was hat Hogwarts Legacy mit Rowlings Transfeindlichkeit zu tun?
J. K. Rowling war nicht an der Entwicklung von Hogwarts Legacy beteiligt, von daher hat das Spiel nur indirekt mit ihr zu tun. Aber: Das Studio selbst gibt – wenn auch vage – zu, dass Rowlings “Team” Einfluss auf das Spiel gehabt hätte. Vor allem aber verdient Rowling an allen Adaptionen ihrer Bücher und deren Welt in Form von Lizenzen und Tantiemen. Es ist also schlicht unmöglich, Hogwarts Legacy zu kaufen und zu spielen, ohne auch Rowling finanziell zu unterstützen. Dazu kommt, dass Rowlings Einfluss nach wie vor zu einem guten Teil auf ihrem Ruhm als Schöpferin des Harry-Potter-Universums basiert. Das bedeutet auch, dass jeder Hype um neue Adaptionen auch Rowlings Bekanntheit und Ruhm aufrechterhält. Rowling profitiert also finanziell und durch eine anhaltende Öffentlichkeit indirekt davon, wenn Hogwarts Legacy ein Erfolg wird. Ein solcher Erfolg sichert auch die Grundlage für zukünftige Projekte.
Aber sollte man nicht die Entwickler*innen unterstützen, die an Hogwarts Legacy mitgearbeitet haben?
Die Entwickler*innen sind als Angestellte des Studios Avalanche Software im Laufe der Entwicklung des Spiels bereits bezahlt worden. Avalanche ist zudem eine hundertprozentige Tochter von Warner Bros. Interactive Entertainment, einem der größten Publisher der Film- und Videospielindustrie. Dass die Existenz des Studios vom Erfolg des Spiels abhängt, ist hochgradig unwahrscheinlich. Von einem Erfolg des Spiels profitieren in erster Linie Warner Brothers als Publisher und Rowling als Schöpferin der Welt. Die Entwickler*innen unterstützt man mit einem Kauf nicht.
Doch selbst wenn man Rowling einmal ausblendet, sind zumindest auch vereinzelt Leute, die an der Produktion von Hogwarts Legacy direkt beteiligt waren, kritisch zu sehen. Ursprünglich war z.B. Troy Leavitt als Lead Designer für Hogwarts Legacy verantwortlich, der wiederum nicht nur Entwickler, sondern auch ein rechtsradikaler Gaming-YouTuber mit Nähe zu GamerGate und auf seinem Kanal über Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und Feminismus schimpft.
Als seine Inhalte auf YouTube 2021 bekannt und größer diskutiert wurden, hat Leavitt das Studio verlassen. Dennoch ließ er anschließend auf Twitter verlauten, er habe sich “absolut sicher” in seiner Position bei Avalanche gefühlt. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass seine politischen Ansichten intern erst dann zum Problem wurden, als er dafür öffentlich kritisiert wurde und negative Aufmerksamkeit vonseiten der Presse drohte.
Hogwarts Legacy und Antisemitismus
Seit im Frühjahr 2022 der erste Trailer von Hogwarts Legacy veröffentlicht wurde, wird außerdem immer wieder Kritik an den Inhalten des Spiels laut. Anhand von Trailern und Videoberichten haben unterschiedliche Medien dem Spiel antisemitische Klischees und Narrative attestiert, die in vielen Fällen eine konsequente Fortführung von Ideen aus den Büchern sind.
Goblins als antisemitisches Klischee in der Wizarding World
Die Handlung von Hogwarts Legacy dreht sich um einen drohenden Goblinaufstand und damit verbunden eine geheime Goblinverschwörung, die die Welt bedroht und dafür u.a. Schüler*innen aus Hogwarts entführt. Die Goblins sind, wie Rowling sie auch in ihren Büchern angelegt hat, kleine, hakennäsige und ausgesprochen gierige Wesen, die u.a. das magische Bankwesen in der Welt von Harry Potter kontrollieren. Sie gelten als etwas gruselig und werden als sehr unfreundlich bis bedrohlich dargestellt. In ihrer Inszenierung in den Filmen, auf die Rowling tatsächlich direkten Einfluss hatte, werden diese Eigenschaften immer wieder betont. Diese Darstellung entspricht bewusst oder unbewusst den Karikaturen aus antisemitischen Hetzschriften. Gleichzeitig passt die Handlung 1:1 zu der Verschwörungsideologie einer Weltverschwörung reicher, gieriger Jüdinnen*Juden, die im Hintergrund die soziale Ordnung bedrohen und an sich reißen wollen. Auch das Gegenargument, dass Rowling sich hier nur von Märchen und Folklore hätte inspirieren lassen, hilft wenig zur Entlastung: Denn auch in Märchen sind diese Klischees kein Zufall, sondern schlicht antisemitisch.
Hogwarts Legacy und die Goblins
Avalanche Software hätte nun bei Hogwarts Legacy sehr wahrscheinlich auch einen anderen Plot bedienen, die Goblins umdeuten oder vielleicht sogar eine andere Gruppe als Antagonist*innen wählen können. Der Trailer legt nahe, dass das Studio sich z.B. bei den Fähigkeiten des Spieler*innen-Avatars ebenfalls Freiheiten im Vergleich zu Rowlings Entwürfen genommen hat. Entsprechend wäre es möglich gewesen, auf die lange stehende Antisemitimismus-Kritik an Rowlings Goblin-Klischees zu reagieren – und wenn es nur aus Marketinggründen gewesen wäre, um schlechte Presse zu vermeiden, was etwas ist, das Spielestudios ständig machen. Doch das ist nicht geschehen. Stattdessen hat man sich bei Hogwarts Legacy dazu entschlossen, das antisemitische Klischee der Goblins noch weiter auszuführen und die große Goblin-Verschwörung als zentralen Plotpunkt bereits im Trailer herauszustellen. Man hat also den Antisemitismus, den Kritiker*innen Rowling und dem Harry Potter-Universum – begründet – schon länger vorwerfen, nicht nur reproduziert, sondern auch noch weiter betont.
Sollte man Hogwarts Legacy boykottieren?
Ob jemand das Spiel boykottieren möchte oder nicht, muss jede*r selbst entscheiden. Fest steht aber, dass man mit der Unterstützung von Hogwarts Legacy J. K. Rowling ideell und finanziell unterstützt und damit wiederum ihre gut dokumentierte Transfeindlichkeit. Wie stark die Entwickler*innen bei Avalanche Software mit Rowlings Weltsicht konform gehen, ist nicht bekannt. Nach eigener Aussage eines Rechtsradikalen hatte sich dieser jedoch in seiner Position als Lead Designer dort mit seinen eigenen Ansichten nicht fremd oder bedroht gefühlt. Dazu kommt, dass das Spiel selbst u.a. antisemitische Klischees schon im Plot bedient, die nicht nur aus der Vorlage aufgegriffen, sondern weiter ausgebaut wurden. Eine abschließende Beurteilung der Spielinhalte muss an dieser Stelle noch ausstehen, aber schon sein Entstehungskontext spricht nicht gerade für Hogwarts Legacy.
Auch einige Journalist*innen, Influencer*innen und Streamer*innen haben öffentlich Position gegen Rowling und Hogwarts Legacy bezogen. Chefredakteur der GameStar, Heiko Klinge, benennt Rowlings Transfeindlichkeit unmissverständlich als Fakt. Leser*innen sollen sich darauf verlassen können, dass Begleitumstände in der GameStar konsequent berichtet und auch in anderen Beiträgen verlinkt werden. Auch beim Schwester-Magazin GamePro wird in aktuellen Newsbeiträgen (Beispiel, Beispiel) auf Rowlings Transfeindlichkeit verwiesen. Auf ein Bier, der größte deutsche Gaming-Podcast, äußert ebenso scharfe Kritik an Rowling und ordnet deutlich ein, dass sie am Erfolg des Franchise profitiert. Die Streamerin Shurjoka positioniert sich noch deutlicher. Sie fordert alle auf: “überlegt euch ob ihr Hogwarts Legacy wirklich im Stream spielen oder für YouTube aufnehmen müsst.” Kritische Einordnungen von own voices finden sich zudem bei der Streamerin Lilischote sowie Falballa im Gespräch mit OddNina und LaraKaa.
Egal, wie man es dreht und wendet: Es ist wichtig, die Begleitumstände des Spiels und Rowlings offen an den Tag gelegte Transfeindlichkeit nicht zu leugnen oder zu relativieren. Rowling hat ihre eigene Position sehr klar verdeutlicht.. Genauso sind die Entstehungsbedingungen und die Grundlagen der Spielhandlung von Hogwarts Legacy selbst alles andere als unproblematisch, auch wenn sich viele Menschen der Ausmaße trotz allem nicht immer bewusst sind. Wenn man sich also aktiv gegen Diskriminierung im Gaming und darüber hinaus einsetzen möchte, wäre es also das stärkste Signal, Hogwarts Legacy nicht zu kaufen, aber gleichzeitig über das Spiel zu reden und Gegenrede zu leisten. Denn, wie immer gilt: Keinen Pixel dem Faschismus!
Weitere Artikel und Ressourcen zum Thema
GLAAD Accountability Project: J.K. Rowling, Author, https://www.glaad.org/gap/jk-rowling.
Shaun: JK Rowling’s New Friends, https://www.youtube.com/watch?v=Ou_xvXJJk7k.
Duffy, Nick, JK Rowling thinks people are afraid to speak about gender because they ‘fear for their personal safety’, In: PinkNews, 02.12.20, https://www.thepinknews.com/2020/12/09/jk-rowling-trans-transgender-good-housekeeping-interview-gender-ideology/.
Avery, Elise: Does JK Rowling Make Money Off Hogwarts Legacy, In: Escapist Magazine, 13.01.23, https://www.escapistmagazine.com/does-jk-rowling-make-money-off-of-hogwarts-legacy/.
Molke, David, Hogwarts Legacy: Lead Designer mit rechtem YouTube-Kanal verlässt das Studio, In: GamePro, 05.03.21, https://www.gamepro.de/artikel/hogwarts-legacy-lead-designer-youtube-kanal,3367647.html.
Bishop, Ben: How Hogwarts Legacy Is Reigniting an Old Harry Potter Controversy, In: CBR, 26.03.22, https://www.cbr.com/hogwarts-legacy-goblins-controversy/.
Falballa: Hogwarts Legacy – Yay or Ney? | Mit Oddnina und LaraKaa | LGBTQA+ | JK Rowling, https://www.youtube.com/watch?v=7Ma-OXsiIeQ.
Coffee, Cake & Games: Warum ihr Hogwarts Legacy nicht kaufen solltet – CCG Beyond mit Shurjoka & Viet, https://www.youtube.com/watch?v=Z5A-xkXYr20.