“What if a stalker had an army?”
Zachary Jones, Game of Fear, April 2015
Im August 2014 münden die unbewiesenen Behauptungen eines Ex-Freundes in eine Hetzkampagne gegen die Spieleentwickler*in Zoe Quinn. Schnell sehen sich Quinn und ihre Unterstützer Morddrohungen, Nachstellungen und Hacking ausgesetzt. Die Kampagne, die sich unter dem Namen #GamerGate sammelt, beginnt immer weitere Kreise zu ziehen…
Diese Retrospektive rekapituliert die Entwicklung der Bewegung und beleuchtet die Zusammenhänge zwischen GamerGate und wie die Kampagne bis heute Politik beeinflußt.
Hinweis: Aufgrund rechtsextremer Inhalte ist es vielfach nicht möglich auf Originalquellen zu verlinken.
Am 15. August 2014 taucht ein gewisser Eron G. in dem für seine Trollaktionen bekannten Forum Something Awful und dem Forum des Web-Comics “Penny Arcade” auf, um dort einen Link zu seinem Blog zu verbreiten, auf dem er “The Zoe Post” veröffentlicht hat – eine hasserfüllte Tirade über seine Ex-Freund*in, die Videospieleentwickler*in Zoe Quinn. Die Moderatoren und Administratoren der Foren fackeln nicht lange: Sie bannen Eron G. und löschen alle seine Links, da “The Zoe Post” Doxx enthält, das heißt persönliche Informationen, die es ermöglichen Zoe Quinn online und offline zu identifizieren und zu belästigen.
So leicht gibt sich Eron G. aber nicht geschlagen: Er sucht weiter obsessiv nach dem richtigen Forum, um sich an seine*r Ex zu rächen, welche*r sich bereits Monate vorher von ihm getrennt hatte. Auch auf dem Imageboard 4chan wird er zuerst nicht fündig: Sowohl das anarchische Subforum /b/, wie auch das der Incel-Bewegung nahestehende Subforum /r9k/ ignorieren ihn zunächst.
Erst auf dem “politisch inkorrekten” und bei Neo-Nazis beliebten Subforum /pol/ stößt seine Tirade auf Interesse. Mit den von Eron G. zur Verfügung gestellten Passwörter und Zugangsdaten zu den Social Media-Konten seine*r Ex verbreitet, wittert /pol/ eine Chance eine*r der verhassten SJW (“Social Justice Warrior”) in der Videospielebranche eine Lektion zu erteilen.
Mithilfe des Materials, das Eron G. in seiner Tirade zusammengefasst hat, fabriziert die Community auf /pol/ und dem langsam ebenfalls aktiv werdenden /r9k/ eine Reihe an vermeintlichen Beweisen an Vergehen, die Zoe Quinn begangen haben soll.
Zentral ist dabei die Behauptung, Quinn habe Eron G. mit Journalisten von diversen Videospiele-Publikationen betrogen, um damit positive Bewertungen oder Berichte für sich und Quinns Spiel “Depression Quest” zu erhalten.
Dass diese positiven Bewertungen nicht zu finden sind, dass die von Eron G. behaupteten zeitlichen Abläufe nicht zusammenpassen und dass es für die angebliche Untreue nicht mehr als G.s Aussage gibt, spielt dabei keine Rolle für die Teilnehmer des sich bildenden Mobs.
Innerhalb von wenigen Tagen wird die Situation bewusst eskaliert.
Diverse mit /pol/ assoziierte Youtuber, darunter Mundane Matt und vor allem der Internet Aristocrat (heutiger Name Mister Metokur) beginnen Videos über Zoe Quinn zu veröffentlichen. Ab dem 18. August, zwei Tage nach Eron G.s Auftritt auf 4chan, treffen sich die Koordinatoren der Kampagne erstmals in dem Internet-Chat-Raum “Burgers And Fries”. Hier wird klar das Ziel ausgegeben:
Aug 18 17.23.09 <SweetJBro> WE’RE CRASHING HER CAREER WITH NO SURVIVORS
Um Zoe Quinns Karriere zu zerstören sind dabei alle Methoden recht: Eron G. hatte bereits umfänglich die privaten Informationen, wie auch Passwörter von Zoe Quinn zur Verfügung gestellt. Quinns Social Media-Konten werden teils gehackt, teils mit Kommentaren und Hassnachrichten überflutet. Geschäftspartner, ebenso wie Quinns Eltern werden belästigt und deren Daten ebenfalls veröffentlicht. Nacktbilder von Quinn, die G. zur Verfügung gestellt hat, werden öffentlich verbreitet.
Aug 18 17.37.57 <SweetJBro> lol I’m tweeting Zoe’s nudes to some of her defenders.
Total Biscuit trägt den Hass in den Mainstream
Zugleich bemüht sich die Community darum, ihre Kampagne weiter zu verbreiten und fokussiert ihre Aufmerksamkeit auf einen Akteur: Den (im Jahr 2018 verstorbenen) Youtuber John Bain, besser bekannt unter dem Namen “Total Biscuit”. Dieser zeigt sich zuerst skeptisch, ändert aber noch am selben Tag seine Meinung und veröffentlicht seine mit Einschränkungen verknüpfte Interpretation des Zoe-Posts an seine über 350.000 Twitter-Follower. Während Bain behauptet, kein Werturteil über die Richtigkeit von Eron G.s Behauptungen treffen zu wollen, erreicht er dennoch eines: Die falschen Anschuldigungen gegen Zoe Quinn verlassen die 4chan-Filterblase und gelangen in den Mainstream.
Als Bains Version ihren Weg auf die Social Media-Plattform Reddit findet, wird der entsprechende Kommentarthread mit Doxx über Zoe Quinn überflutet. Ein überforderter Moderator beginnt hierauf haufenweise Kommentare zu löschen. Auch 4chan beginnt, die Kommentare mit Doxx zu löschen.
Der vermeintliche Rückschlag erweist sich paradoxerweise als Segen für die Bewegung: Diese Maßnahmen gegen die Verbreitung von Zoe Quinns privaten Informationen werden umgemünzt in einen Vorwurf der allgemeinen Zensur.
Aug 18 18.33.36 <Roberts[OPEC]> they’re doing a really good job of censoring this shit
Schnell wird diese Interpretation zu einer Narrative umgeformt: Jede Plattform, die nicht bereit ist, die ungefilterten Behauptungen und die intimen Details aus Quinns Leben zu veröffentlichen, sei Teil einer großen Verschwörung von Zoe Quinns Unterstützern, die große Teile der Gaming-Szene und Social Media unter ihrer Kontrolle haben. Die Teilnehmer wiederum inszenieren sich als Saubermänner, die sich um die Parole “Ethics in Videogames Journalism” herum sammeln, obwohl selbst das von den Teilnehmern erstellte Propagandamaterial eine andere Sprache spricht.
Aug 18 20.23.08 <Roberts[OPEC]> i guess this whole thing is a conspiracy of people zoe fucked plus a bunch of SJWs
In den letzten Wochen des August 2014 ist die Lage unübersichtlich, doch es zeichnet sich bereits deutlich ab, dass die überwiegende Mehrheit der Opfer der Kampagne keinerlei Bezug zum Journalismus haben.
Während Zoe Quinn sich zeitweise von Social Media zurückzieht, geraten jene ins Visier der GamerGater (die diesen Namen noch nicht tragen), die es wagen, sie öffentlich zu unterstützen. Das prominenteste Opfer wird zu diesem Zeitpunkt der streitbare Spieleentwickler Phil Fish (“Fez”), der auf Twitter vor allem John Bain verbal attackiert. Es wird ihm entlohnt, indem sein Apple-Account und auch die Website seiner Firma gehackt und alle dort gefundenen Daten im Netz verbreitet werden, inklusive Steuererklärungen und finanzieller Unterlagen seiner Firma.
Auch das nächstes Ziel, die feministische Youtuberin Anita Sarkeesian, ist keine Journalistin. Sarkeesian war durch ihre feministische Videoessays über Videospiele bereits seit langem das Ziel von Anfeindungen gewesen. Als sie Ende August 2014 ein lange angekündigtes Video mit dem Titel “Women as Background Decoration: Part 2” auf YouTube veröffentlicht, wird sie sofort zu einem Opfer der laufende Kampagne. Obwohl ihr Video keinerlei Bezug zu Zoe Quinn und der laufenden zu der noch namenslosen Kampagne hat, die sich später unter dem Namen GamerGate sammeln sollte, werden die Angriffe auf sie später von John “Total Biscuit” Bain damit gerechtfertigt, dass sie sich mit der bloßen Veröffentlichung ihres Videos selbst in die “Diskussion eingeführt” hätte (“inserted herself into the discussion”).
Anhaltende Morddrohungen zwingen Sarkeesian (wie zuvor bereits Quinn) ihre Wohnung zwischenzeitlich zu verlassen.
Die Bewegung erhält ihren Namen
Ende August 2014 ist es dann soweit: Nachdem die Kampagne unter immer wieder wechselnden Namen firmiert hat, gibt ihr der Schauspieler Adam Baldwin (“Firefly”) ihr einen Namen: #GamerGate. Er verlinkt dabei auf die Videos des Internet Aristocrat mit der Zusammenfassung von Eron G.s “The Zoe Post”.
Diese erste Phase von GamerGate war vor allem von Verwirrung und einer unübersichtlichen Situation geprägt. Hastige Pressestatements, Distanzierungen mal von der einen, mal von der anderen Seite, neue, immer groteskere Anschuldigungen gegen Quinn und andere Ziele der Kampagne münden in weitere Drohungen, bis schließlich sogar das FBI involviert wird.
Dessen Untersuchungen sind von Zuständigkeitsquerelen und der Schwierigkeit der Strafverfolgung im digitalen Raum geplagt. Der 2017 veröffentlichte ‚über 150 Seiten starke Bericht des FBIs dokumentiert den Umfang des Mord‑, Vergewaltigungs‑, Bomben- und sonstigen Bedrohungen, denen die Opfer von GamerGate 2014 ausgesetzt sind.
Für einige Wochen werden Gamingforen (Steam, NeoGaf, etc.), Wikipedia und Social Media (Twitter, Reddit, Youtube, etc.) mit GamerGate-Inhalten überflutet, die als Kampagnenziele von den Führungsfiguren ausgegeben werden. Selbst Pornoseiten wie Youporn sind davon nicht ausgenommen.
Derweil präsentiert sich GamerGate nach außen immer noch als führerlose “Revolte der Konsumenten”. Erst viel später sollte deutlich werden, wie sehr die Kampagne geplant und durch Akteure im Hintergrund, etwa im Chatraum “Burgers and Fries” gesteuert wurde.
Doch noch steht GamerGate erst am Anfang…
In Teil 2:
Wie sich aus sogenannten Skeptikern, Verschwörungsideologen und Neonazis eine Allianz um GamerGate bildet, die die Aufmerksamkeit einer rechtsradikalen Nachrichtenplattform auf sich zieht.
- Zachary Jones: “Game of Fear” im Boston Magazine, 28. April 2015 [https://www.bostonmagazine.com/news/2015/04/28/gamergate/]
- Aja Romano: “4chan hacks and doxes Zoe Quinn’s biggest supporter” in Daily Dot, 22. August 2014 [https://www.dailydot.com/parsec/4chan-hacks-phil-fish-over-his-defense-of-zoe-quinn/]
- Brian Crecente, “FBI investigating death threats against Feminist Frequency creator Sarkeesian” in Polygon, 17. September 2014 [https://www.polygon.com/2014/9/17/6225835/fbi-investigating-anita-sarkeesian-threats]
- Emma Carmichael: “The Future Of The Culture Wars Is Here, And It’s Gamergate” in Deadspin, 14. Oktober 2014 [https://deadspin.com/the-future-of-the-culture-wars-is-here-and-its-gamerga-1646145844]
- Videogame Tourism: “GamerGate: Gamification & Propaganda”, 4. November 2014 [https://videogametourism.at/content/gamergate-gamification-propaganda]
- Brian Feldman: “Inside /pol/, the 4chan Politics Board Shouted Out in Minneapolis Gun Video” im New York Magazine, 25. November 2015 [https://nymag.com/intelligencer/2015/11/inside-pol-4chans-racist-heart.html]
- Zoe Quinn: “Crash Override” (Buch), erschienen bei Public Affairs, September 2017