“Noch einmal, ich werde nicht mit Terroristen verhandeln. Die Vorstellung, dass ich ein Manifest über mein Sexleben, geschrieben von einem rachsüchtigen Ex, widerlegen muss, um weiterhin ein Teil der Videospieleindustrie zu bleiben ist widerlich, und ich werde es nicht tun.”
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Teil 1: Wie ein rachsüchtiger Ex einen digitalen Mob lostritt
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Die Liste der Ziele von GamerGate wird im Herbst 2014 immer länger: Schauspielerin Felicia Day, Spieleentwickler Tim Schafer, Journalistin Jenn Frank, NFL-Spieler Chris Kluwe oder Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales werden Opfer von GamerGates entfesseltem digitalen Mob. Diesen bekannten Namen stehen neben unzählige weniger prominenten Opfern.
Inzwischen bastelt GamerGate weiter an der eigenen Mythologie. Bis heute behaupten GamerGater gerne, dass die Bewegung ihren Beginn erst am 28. August 2014 gehabt hätte und alle vorangegangenen Ereignisse damit nichts zu tun hätten. Dass lediglich die Bewegung ihren Namen einen Tag zuvor erhielt und ansonsten alle Akteure und Methoden dieselben blieben wie in den Wochen zuvor, wird dabei gerne unterschlagen.
Doch was genau geschah am 28. August 2014, das den Gründungsmythos der Kampagne entstehen lässt?
Die Journalistin Leigh Alexander veröffentlicht einen Kommentar auf dem professionellen Videospieleportal Gamasutra unter dem Titel “Gamers’ don’t have to be your audience. ‚Gamers’ are over.”
Unter dem anhaltenden Eindruck der Kampagne gegen Zoe Quinn und andere stößt der Artikel auf einige Resonanz in der Fachpresse: Websites wie Kotaku, Polygon oder Ars Technica greifen Alexanders Kommentar auf und veröffentlichen ihre eigene Interpretation der Ereignisse und was sie für die Zukunft der Videospielebranche bedeuten könnten.
Für die GamerGater bedeutet dies vor allem eins: Alle diese Artikel, die unter dem bewusst irreführenden Titel “Gamers are dead” zusammengefasst werden, sowie die Websites auf denen sie veröffentlicht wurden, sind Teil der Verschwörung gegen die alle “Gamer” ankämpfen, deren wahre Vertreter #GamerGate ist.
Statt der fadenscheinig begründeten Hetzkampagne gegen Zoe Quinn sollte dies von nun an der Gründungsmythos der Bewegung sein. Nach der Logik der GamerGater war jeder Widerstand gegen GamerGate Rechtfertigung für weitere Angriffe und Eskalation.
Breitbart betritt die Bühne
Dieser Interpretation leistet vor allem ein neuer Akteur Vorschub: Milo Yiannopoulos, Tech-Journalist für die rechtsextreme Website Breitbart.com.
Yiannopoulos sollte sich sogleich bei GamerGate beliebt machen, indem er eine angebliche Verschwörung von Videospielejournalisten “enttarnte”. Ohne jede konkrete Beweise behauptet Yiannopoulos, dass die Google-Gruppe “GameJournoPros” hinter den angeblich koordinierten “Gamers are dead”-Artikeln steckt.
Das es auch hierfür keine Beweise gibt, ist für die GamerGater – wieder einmal – irrelevant. Dieser neue Baustein passt in das Image ihrer Kampagne. Mit Yiannopoulos und Breitbart.com haben sie einen Verbündeten für ihre Kampagne gefunden, während zugleich die (nach dem Tod ihres Gründers Andrew Breitbart) erfolglose Website eine dringend benötigte neue Leserschaft findet.
Yiannopoulos hat aber vor allem auch mit seinem Timing außerordentliches Glück, da er in ein Machtvakuum vorstößt: Das Planungsforum, der Chatraum “Burgers and Fries”, geht Anfang September 2014 spektakulär unter. GamerGates Feind #1, Zoe Quinn selbst, archiviert und veröffentlicht Screenshots und Ausschnitte aus den Logs des Chatraums. Daraufhin schließt der technische Betreiber, auf deren Servern der Chatraum gehostet wird, “Burgers And Fries” und veröffentlicht die vollständigen Logs.
Sep 06 05.32.03 <willoftheboss> gamergate over she got us
Auch andere Plattformen ergreifen Maßnahmen gegen das ausufernde Doxxing, Hacking und die Bedrohung und Belästigung der GamerGate-Ziele.
Der Betreiber von 4Chan verbannt die Bewegung komplett, ebenso zeigen die Software-Plattform Github und das einflußreiche Spieleforum Neogaf GamerGate die Tür. Erste Presseberichte über die Vorgänge fügen dem Selbstbild der Bewegung erheblichen Schaden zu.
Unter diesen Umständen entbrennt ein Führungsstreit innerhalb der Bewegung, der schnell Opfer fordert: Einige GamerGater der ersten Stunde wie etwa der Internet Aristocrat, John “Total Biscuit” Bain und weitere distanzieren sich gegen Ende des Jahres 2014 oder Anfang 2015 teils mehr, teils weniger von GamerGate; andere werden mit denselben Methoden aus der Bewegung herausgedrängt, die zuvor Quinn oder Sarkeesian vorbehalten waren. Zugleich treten neue Akteure auf den Plan.
Die Anti-Feministische Allianz bildet sich
Die Gruppen, die sich um GamerGate zu scharen beginnen, eint zuerst vor allem ihre aggressive Ablehnung des Feminismus. Ihnen ist nicht entgangen, dass die Opfer der Bewegung vor allem Frauen, Feminist*innen und LGBTQIA+ sowie andere marginalisierten Gruppen sind.
Vor allem die anti-feministischen Elemente der sogenannten “Skeptiker” und Atheisten etablieren sich schnell innerhalb der Bewegung und verbreiten die Botschaften der Bewegung auf Youtube an ihre teils in die Tausenden gehenden Anzahl an Abonnenten: Neben Phil “Thunderf00t” Mason und TJ “The Amazing Atheist” Kirk ist es vor allem Carl “Sargon of Akkad” Benjamin, der sich als Führungsfigur etabliert. Sie können vor allem auf ihre zahlreichen Abonnenten setzen und werden dadurch schnell zu wichtigen Stichwortgebern.
Dass zugleich Verschwörungsideologen wie Alex Jones mit seiner Plattform “Infowars” die Bewegung unterstützen, ist für die selbsternannten “Skeptiker” dabei kein Problem.
Da diese wie GamerGate vor allem Feministinnen und die so oft beschworenen “Social Justice Warriors” im Visier haben, ist ihre Unterstützung wichtiger als Prinzipien.
Noch deutlicher zeigt sich das durch die Unterstützung, die die Bewegung aus der “Manosphere”, der losen, frauenfeindlichen Allianz aus Männerrechtlern, Pickup Artists wie Roosh V und Incels (vor allem in Form des 4chan-Subforums /r9k/), erlangt.
Auch Mitglieder der Deutschen Maskulinisten-Szene, wie etwa Christian Schmidt von “Alles Evolution” räumen GamerGate entsprechenden Platz ein.
Schwieriger einzuordnen ist die Unterstützung von Wikileaks und dem damals noch in der Ecuadorianischen Botschaft in London festsitzenden Julian Assange. Diese erregt zunächst nur wenig Aufmerksamkeit, allerdings ist Wikileaks ein wichtiger Baustein für die Allianz, die sich um die Bewegung sammelt.
Vor allem sind es aber Faschisten und Neo-Nazis, die GamerGate unterstützen. Am 3. Oktober 2015 solidarisiert sich das weltgrößte Onlineforum der Neo-Nazi-Szene, Stormfront, mit GamerGate. Die Botschaft lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig:
GamerGate is widely supported by young White men who might otherwise be oblivious to political matters. This is a perfect opportunity to slowly wake them up to the Jewish question.
Stormfrontmitglied „WakeUpWhiteMan”
Vor allem sollte es aber Neo-Nazi-Hacker Andrew “weev” Auernheimer sein, der die Bewegung begrüßte und unterstützte. Zwar materialisierte sich dessen Unterstützung erst Mitte 2015, da Auernheimer im Gefängnis saß, aber als er dann in dem GamerGate-Forum auf der Plattform 8chan sein in der Haft gestochenes Hakenkreuz-Tattoo vorzeigt, wird er enthusiastisch von anderen GamerGatern begrüßt.
Während diese verschiedenen Gruppierungen ihre Verhältnisse zueinander noch ausloten, bedeutet das allerdings noch keine Atempause für die Ziele von GamerGate – im Gegenteil.
Erpicht, sich zu positionieren, werden immer weitere Personen der Öffentlichkeit Ziele von GamerGates Angriffen: Sie müssen ihre Wohnungen verlassen, öffentliche Auftritte absagen, und (manchmal auch die falschen) werden gedoxxt. Insbesondere werden sie zunehmend Opfer von “Swatting”, der Praxis, unter Vorspielung falscher Tatsachen schwerbewaffnete Polizisten zum Haus eines Opfers zu schicken.
Selbst die Politikerin Katherine Clark, die nach dem immer weiter um sich greifenden Swatting ein Gesetz dagegen in den Kongress einbringen will, wird geswattet.
Ein Angriff auf alle Spieleentwickler*innen
Spätestens im März 2015 sollte GamerGate auch den letzten Anspruch auf die Behauptung verspielen, für Videospieler und ihre Interessen zu kämpfen. Angestachelt von einem ehemaligen Spieleentwickler greifen GamerGater auf Social Media in Massen die Teilnehmer der größten Fachveranstaltung für Videospieleentwicklung, der Games Developer Conference (GDC), an.
Was diese Aktion erreichen soll, ist vermutlich selbst den Beteiligten unklar. Sie zwingt allerdings große Teile der auf der GDC versammelten Videospieleindustrie, sich klar von den nun ausnahmslos an sie alle gerichteten Feindseligkeiten zu distanzieren. In der Abschlussveranstaltung der GDC verspottet der legendäre Spieleentwickler Tim Schafer (“The Secret of Monkey Island”, “Brütal Legend”) GamerGate unter Gelächter des anwesenden Publikums.
Obwohl dieser Moment ein Wendepunkt ist, ist die Bewegung damit bei weitem nicht an ihrem Ende angekommen. Tatsächlich sollte er für einige der Opfer niemals enden. Selbst Jahre später sind sie immer noch Drohungen der GamerGater ausgesetzt, wie Zoe Quinn in einem Blogpost und dem Buch “Crash Override” dokumentiert. Die Attacken auf Quinn, Sarkeesian und andere flammen immer wieder auf, wenn die alten Teile der Bewegung eine vorgeschobene Rechtfertigung dafür finden.
Allerdings wandelt sich im Laufe des Jahres 2015 die Strategie: Der Schrei nach “Ethics in Video Games Journalism” ist vollkommen sinnentleert und vielfach zu einem Witz geworden, er verfolgt inzwischen einen anderen Zweck. Der bereits erwähnte Neonazi Andrew Auernheimer formuliert im August 2015 klar und deutlich, worum es GamerGate geht:
[…] the man is talking down to gamergate which is by far the single biggest siren bringing people into the folds of white nationalism. More people have been converted in the past year by things like images of Anita Sarkeesian being rendered as a happy merchant than were in the three before it.Andrew “Weev” Auernheimer in “No defense for Gavin McInnes”, 23.8.2015
Doch er war mit dieser Feststellung nicht der Erste.
In Teil 3:
Wie Milo Yiannopoulos’ Chef aus der zusammengewürfelten anti-feministischen Allianz eine politische Bewegung schmiedet, deren Weg ins Weiße Haus führt.
- Leigh Alexander: “‚Gamers’ don’t have to be your audience. ‚Gamers’ are over.”, in Gamasutra, 28. August 2014 [https://www.gamasutra.com/view/news/224400/Gamers_dont_have_to_be_your_audience_Gamers_are_over.php]
- Casey Johnston: “Chat logs show how 4chan users created #GamerGate controversy”, in Ars Technica, 10. September 2014 [https://arstechnica.com/gaming/2014/09/new-chat-logs-show-how-4chan-users-pushed-gamergate-into-the-national-spotlight/]
- Jon Stone: “Gamergate’s vicious right-wing swell means there can be no neutral stance”, in The Guardian, 13. Oktober 2014 [https://www.theguardian.com/technology/2014/oct/13/gamergate-right-wing-no-neutral-stance]
- David Futrelle: “The Top Five Most Ridiculously Ironic #GamerGate Memes”, in We Hunted The Mammoth, 6. November 2014 [https://wehuntedthemammoth.com/2014/11/06/the-top-five-most-ridiculously-ironic-gamergate-memes/]
- Alex Hern: “Gamergate hits new low with attempts to send Swat teams to critics”, in The Guardian, 13. Januar 2015 [https://www.theguardian.com/technology/2015/jan/13/gamergate-hits-new-low-with-attempts-to-send-swat-teams-to-critics]
- Joshua Miller: “Police swarm Katherine Clark’s home after apparent hoax”, im Boston Globe, 1. Februar 2015 [https://www.bostonglobe.com/metro/2016/02/01/cops-swarm-rep-katherine-clark-melrose-home-after-apparent-hoax/yqEpcpWmKtN6bOOAj8FZXJ/story.html]
- Andrew Todd: “GamerGate Is Now Literally An Industry Joke”in Birth, Death, Movies, 5. März 2015 [https://birthmoviesdeath.com/2015/03/05/gamergate-is-now-literally-an-industry-joke]