Ver­schwörungsmythen nehmen immer mehr Rel­e­vanz im öffentlichen Raum ein. Sie find­en sich in Form von recht­sex­tremen Erzäh­lun­gen, als Grund­lage der Reichs­bürg­er­be­we­gung, bei wis­senschafts­feindlich­er Eso­terik oder gar ein­er Mis­chung aus diesen und anderen demokratiefeindlichen Strö­mungen auf Demon­stra­tio­nen, bei Ter­ro­ran­schlä­gen oder in Parteirethorik.

Eine eso­ter­ische Bewe­gung, die beson­ders viel Ein­fluss auf die Öffentlichkeit nimmt, ist die Anthro­poso­phie, denn diese bildet die Grund­lage der in Wal­dorf­schulen gelehrten Bil­dung und kommt somit mit vie­len Men­schen schon im Bil­dungsalter in Kon­takt. Ger­ade in den let­zten Jahren find­et sich die Anthro­poso­phie immer stärk­er auf Ver­anstal­tun­gen und Demos der recht­en Quer­front, die Schulen waren und sind während der Covid-19-Pan­demie Brand­herde der Ansteck­ung, da Masken und Imp­fun­gen dort als unwirk­sam oder gar schädlich geleugnet wer­den. Auch die Medi­en­bil­dung an Wal­dorf­schulen ist ein Prob­lem, da alles Dig­i­tale, und damit etwa auch Videospiele, in der Anthro­poso­phie als schädlich für Kinder ange­se­hen wird. Um das zu beleucht­en, haben wir einen Experten befragt. Oliv­er Raut­en­berg ist ein deutsch­er Jour­nal­ist, Blog­ger und Pod­cast­er. Er recher­chiert bere­its seit 2009 zur Anthro­poso­phie, ein­er eso­ter­ischen Weltan­schau­ung nach Rudolf Stein­er und befasst sich damit auf seinem Blog und im Pod­cast Wal­dorf­salat. Für seine jour­nal­is­tis­che Arbeit ist er für den Grimme Online Award nominiert wor­den. Raut­en­berg lebt mit sein­er Fam­i­lie im Ruhrge­bi­et, Nordrhein-Westfalen.

Das Inter­view ist sehr aus­führlich gewor­den. Zur besseren Über­sicht haben wir die Antworten daher in drei Bere­iche gegliedert. Es fol­gt zunächst eine all­ge­meine Erk­lärung zur Anthro­poso­phie und ihrem Ver­hält­nis zu Dig­i­tal­ität und Videospie­len. Im zweit­en Abschnitt sprechen wir über Wal­dorf­schulen, Medi­en­bil­dung und Jugendliche, während der dritte Abschnitt die Verbindun­gen der Anthro­poso­phie zur recht­en Quer­front abdeckt.

Anthroposophie, Digitalität und Games

Zunächst ein­mal: Was ist eigentlich Anthro­poso­phie? Und was hat sie mit Wal­dorf- und Stein­er­schulen zu tun?

Die Anthro­poso­phie ist eine spir­ituell-eso­ter­ische Weltan­schau­ung. Sie wurde von dem selb­ster­nan­nten Hellse­her und Okkul­tisten Rudolf Stein­er begrün­det. In ihr ver­mis­chen sich christliche Mys­tik, die Lehren Goethes, die Gno­sis, das Rosenkreuzer­tum sowie Ele­mente aus Bud­dhis­mus und Hin­duis­mus zu ein­er Art von New-Age-Reli­gion. Die Anthro­poso­phie geht von der Exis­tenz von Reinkar­na­tion und Kar­ma aus und will enge Beziehun­gen zwis­chen dem Kos­mos und dem Men­schen erkan­nt haben. Durch ihre weite Ver­bre­itung in den Bere­ichen biol­o­gis­ch­er Land­wirtschaft nach Deme­ter, der pseudowis­senschaftlichen anthro­posophis­chen ‚Medi­zin‘ und durch die pri­vat­en Wal­dorf­schulen gilt sie als größte eso­ter­ische Strö­mung Europas.

Die Wal­dorf­schule wurde von Rudolf Stein­er auf Bit­ten eines sein­er Anhänger gegrün­det, eine Schule für die Arbeit­erkinder sein­er Wal­dorf-Asto­ria-Zigaret­ten­fab­rik zu schaf­fen. Die ‚Wal­dorf­päd­a­gogik‘ ist ange­wandte Anthro­poso­phie und hat eine spir­ituelle Erziehung des Men­schen zum Ziel.

Ist die Anthro­poso­phie gefährlich? Wenn ja, warum?

Laut dem Reli­gion­shis­torik­er Hel­mut Zan­der sind „Ver­schwörungsmythen die DNA der Anthro­poso­phie“. Diese Gedanken­welt aus geheimen Mächt­en, unsicht­baren Weltvorgän­gen und ver­bor­ge­nen Zusam­men­hän­gen lädt zum magis­chen Denken ein. Stu­di­en zeigen, dass der Glaube an die eine Ver­schwörung den Glauben an weit­ere Ver­schwörun­gen nach sich zieht, oder frei nach dem Jour­nal­is­ten Hol­ger Klein gesprochen: „Glaub­st Du erst den einen Scheiß, glaub­st Du bald auch jeden anderen.“ Magis­ches Denken führt zu Ver­schwörungs­denken. Ver­schwörungs­denken führt zu Staatsablehnung und im schlimm­sten Fall zur Offen­heit für rechte Posi­tio­nen. Staatlich finanzierte, ja teils geset­zlich vorgeschriebene Eso­terik ist schädlich für eine offene und freie Gesellschaft. Schädlich für die Demokratie.

Wenn anthro­posophis­che „Mediziner*innen“ wirkungslose astrol­o­gis­che Prä­parate gegen Krebs ver­schreiben dür­fen, wenn Bio-Bäuer*innen auf Glob­u­li statt auf Medi­zin set­zen sollen oder wenn 100.000 Kinder in Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz nach den Wah­n­vorstel­lun­gen eines Hellse­hers erzo­gen wer­den, ist das gefährlich. Konkretes Beispiel: Zwis­chen 1 von 500 und 1 von 1000 Masern-Fälle endet tödlich. Durch die auch anthro­posophisch geprägte Impfgeg­n­er­schaft in Europa ist es der WHO seit Jahrzehn­ten nicht möglich, diese Bedro­hung für Men­schen­leben zu eliminieren.

Mit ihrer tech­nikfeindlichen, rück­wärts­ge­wandten und medi­zinkri­tis­chen Hal­tung, ihren demokratiefeindlichen poli­tis­chen Bestre­bun­gen und ihrem enor­men Ein­fluss auf Wirtschaft und Poli­tik ist die Anthro­poso­phie eine konkrete Bedro­hung für demokratis­che Gesellschaften.

Was hält die Anthro­poso­phie von Videospie­len – und anderen Popkulturmedien?

Die Anthro­poso­phie will sich voll und ganz der spir­ituellen Welt wid­men. Die materielle Welt, also alles was sicht‑, fühl- und mess­bar ist, ist zu ver­nach­läs­si­gen. Daraus entspringt auch eine Ablehnung der Mod­erne mit all ihren Maschi­nen und Tech­nolo­gien. Diese Ansicht­en waren schon zu Stein­ers Lebzeit­en ver­bre­it­et, als die Leben­sre­form­be­we­gung ent­stand. Diese wollte zurück zur Natur und weg von Indus­tri­al­isierung und Mate­ri­al­is­mus. So sorgte sich Rudolf Stein­er beispiel­sweise um das Aufkom­men neu­modis­ch­er Telegraphen­mas­ten, die ange­blich die Kom­mu­nika­tion mit „höheren Wel­ten“ stören würde. Eine Ansicht, die man bei Geg­n­er des 5G-Handy­s­tan­dards so ähn­lich wiederfindet.

Tat­sache ist, dass die Wal­dorf­schulen-Bewe­gung schon seit rund 80 Jahren Vor­be­halte gegen das Fernse­hen schürt. Fernsehkon­sum ist bei „Wal­dorf“ tra­di­tionell ungern gese­hen – bei Haus­be­suchen der Lehrkraft ist der Appa­rat am besten gar nicht vorhan­den oder zumin­d­est mit einem Tuch abgedeckt. Anthroposoph*innen behaupten zwar, Bild­schir­mgeräte nicht ver­teufeln zu wollen. Zugle­ich war­nen sie aber, der Medi­enkon­sum mache Kindern das „dritte Auge stumpf“, ließe ihre „See­len verbluten“ und brächte „Tod und Teufel“ ins Haus. Gegen diesen, Zitat, „Medi­en­faschis­mus“ brauche es daher Wider­stand „im Stile der weißen Rose“ – so liest man es beim Bund der Freien Wal­dorf­schulen noch 2014. Medi­en als „drit­ter Weltkrieg“ für das Gehirn.

Diese Tech­nik-Skep­sis zieht sich bis in spezielle Medi­en­verträge, die Eltern von Wal­dorf­schul-Kinder unter­schreiben sollen. Medi­en aller Art, ins­beson­dere elek­trische und elek­tro­n­is­che, sind zu mei­den: Kas­set­ten, CDs, MP3s, Hör­spiele, Radio, Fernse­hen – und natür­lich erst recht der Com­put­er und das Inter­net. Eine Erziehung zur „Medi­en­mündigkeit“, so sieht es der Bund der Freien Wal­dorf­schulen in seinen Medi­en-Broschüren wie „Struwwelpeter 2.0“, funk­tion­iert am besten durch Medi­en­verzicht. Und das weit über das 14 Leben­s­jahr hin­aus – das Inter­net könne man Kindern am Ende des drit­ten Jahrsiebtes, also vor dem 21. Leben­s­jahr näher­brin­gen. Aber bitte erst­mal nur in der The­o­rie. Dieser Tech­nik-Entzug hat wie beschrieben eine lange Tra­di­tion. So berichtet ein ehe­ma­liger Schüler, dass er in den 1980ern wegen seines Sin­clair ZX81-Com­put­ers (ein­er der ersten Home­com­put­er (3,25 MHz, 1024 Bytes RAM, 64x48 Pix­el Block­grafik in Schwarzweiß) von der Lehrerin ein Prob­lem mit seinem „Astralleib“ attestiert bekam. Später stellte sich her­aus, dass er Asperg­er-Autist war.

Die Ansicht­en der Anthroposoph*innen und des Wal­dorf-Bun­des erscheinen heutzu­tage unzeit­gemäß und reak­tionär. Und nicht alle der 255 selb­st ver­wal­teten deutschen Wal­dorf­schulen hal­ten sich daran. Einige bieten heute bere­its Com­put­erkurse an.

Waldorfschulen, Medienpädagogik und Jugendliche

Viele Kinder und Jugendliche spie­len Videospiele – laut Sta­tista 2022 etwa spie­len 76% der Jugendlichen zwis­chen 12 und 19 Jahren täglich, weit­ere 10% min­destens ein­mal die Woche. Wie wird damit an Schulen und Insti­tu­tio­nen umge­gan­gen, die der Anthro­poso­phie folgen?

Medi­enkon­sum aller Art ist in Wal­dorf­schulen und ‑Kindergärten ver­pönt. Diese Hal­tung bekommt die Eltern­schaft recht schnell mit oder sie wird mit­tels Broschüren oder den genan­nten Medi­en­verträ­gen darauf hingewiesen. Man fügt sich meis­tens und passt sich an, wenn man den begehrten Schulplatz will. Die Wal­dorf­schule meint: Der beste Umgang mit Medi­en aller Art ist ihre Ver­mei­dung – so lange wie es geht. „Solange man wächst“, sagt eine berühmte anthro­posophis­che ‚Medi­ziner­in‘. Das wäre dann zwis­chen dem 18–20 Lebensjahr.

Natür­lich ist es heutzu­tage immer schw­er­er, Kinder ger­ade von Bild­schir­mme­di­en fernzuhal­ten. Nicht sel­ten dürsten Waldorfschüler*innen daher danach, diesel­ben Serien, Filme und YouTube-Videos zu sehen – und find­en Wege, sie zu kon­sum­ieren. Die Welt der pop­ulären Kul­tur, der Pop­kul­tur also, stellt für die meis­ten Men­schen eine Selb­stver­ständlichkeit dar. Waldorfschüler*innen fehlt diese ganze Welt meist völ­lig. Sie ken­nen nicht die „guten, alten Fernsehse­rien“, haben den let­zten Block­buster-Movie nicht gese­hen oder wis­sen nicht, was in den Musik-Charts läuft. Mit dem Inter­net und sein­er Meme- und Remix-Kul­tur, seinen GIFs und Kurzvideos kön­nen die meis­ten noch weniger anfan­gen. Nicht sel­ten wer­den Waldorfschüler*innen daher als welt­fremde „Baum­schüler“ verspot­tet. Teils schä­men Sie sich auch dafür, in ein­er von Medi­en abgeschot­teten Welt aufgewach­sen zu sein und nicht „mitre­den“ zu kön­nen, Anspielun­gen oder Filmz­i­tate nicht zu ver­ste­hen. Ich gebe hier zu bedenken, dass sich die wenig­sten Kinder ihre Schule selb­st aus­suchen dür­fen – das übernehmen die Eltern. Wed­er gibt es Grund für Scham noch für Spott.

Wie ste­ht es generell um Medi­en- bzw. Infor­ma­tion­skom­pe­tenz­bil­dung an Schulen und Insti­tu­tio­nen, die der Anthro­poso­phie folgen?

Medi­en aller Art aus der „Außen­welt“, also von außer­halb der Anthro­poso­phie, wer­den kri­tisch gese­hen. Bekan­nt ist vie­len, dass es in Wal­dorf­schulen tra­di­tionell keine Schul­büch­er gibt. Die Schüler*innen schreiben (oder malen) ihr eigenes „Lehrw­erk“, in dem sie die Worte und Tafelze­ich­nun­gen der Lehrkraft abschreiben. Die Kinder sollen all ihr Wis­sen nur aus dem Kopf der ihnen vom Schick­sal zugeteil­ten und anthro­posophisch aus­ge­bilde­ten Lehrkraft erhal­ten. Bis zum 14. Leben­s­jahr ist es das Prinzip der Wal­dorf­päd­a­gogik, so wenig Fak­ten wie möglich zu ver­mit­teln. Kinder sollen die Welt bestaunen, aber sie nicht ver­ste­hen. Eine Fähigkeit zum kri­tis­chen Denken wird ihnen vor der Vol­len­dung des „zweit­en Jahrsiebtes“ nicht zuge­s­tanden. Fängt zum Beispiel natur­wis­senschaftlich­er Unter­richt der­art spät an, ist es schwierig, bis zum Abi allen Stoff aufzu­holen. Wichtiger ist es der Wal­dorf­schule, die ersten Schul­jahre vor allem Mythen, Märchen und alte Sagen, später dann auch Bibel­texte zu behan­deln. Eine klare Unter­schei­dung von Fakt und Fik­tion wird dabei oft nicht vorgenom­men. So find­et sich Rudolf Stein­ers eigene Evo­lu­tion­serzäh­lung, nach der die Men­schheit aus Atlantis stamme, in Wal­dorf­schulen auch heute noch im Geschicht­sun­ter­richt der 5. Klasse. Glauben und Wis­sen wird nicht scharf getren­nt – und soll auch nicht scharf getren­nt wer­den. Dadurch wer­den Konzepte wie „Glauben“ und „Wis­sen“ als gle­ich­w­er­tig im Hirn ver­ankert. Diese Art Erziehung ist wed­er kindgemäß noch zeit­gemäß. Die Wal­dorf­päd­a­gogik ist eine Erziehung zur Unmündigkeit.

Warum sind Schulen, die der Anthro­poso­phie fol­gen, über­haupt schein­bar eine so “erfol­gre­iche” Alter­na­tive für viele Fam­i­lien geworden?

Die Wal­dorf­schule ist die erste Pri­vatschule Deutsch­lands. Sie hat den „Markt“ als erste und von Anfang an geprägt. Konzepte wie das gemein­same Beschulen von Jun­gen und Mäd­chen waren damals neu. Die Arbeit­er­schule der ersten Jahre blieb aber nur kurz beste­hen. Seit rund 100 Jahren ist die Wal­dorf­schule nun attrak­tiv für Eltern, die dem staatlichen Schul­sys­tem kri­tisch gegenüber­ste­hen und keine Erziehung ihrer Kinder nach „Schema F“ wollen. Wal­dorf ist ein Refugium gewor­den für eine „alter­na­tive Szene“, aber auch für Akademiker*innen, die über Päd­a­gogik mehr zu wis­sen glauben als eine Lehrkraft von der „Staatss­chule“. Früher war die Wal­dorf-Szene oft im Ruf, poli­tisch „links­grün“ ori­en­tiert zu sein, heute ist sie zunehmend ver­schwörungside­ol­o­gisch und recht­sof­fen eingestellt. Das zu zahlende Schul­geld sorgt zudem für eine entsprechende Klien­tel von Eltern. „Asis“ oder „Ausländer“-Kinder find­et man an der elitären Pri­vatschule kaum: 98–99% der Wal­dorf-Fam­i­lien haben einen deutschen Pass. Wer also akademis­che, weiße und wohlhabende Eltern hat, schafft es meist an jed­er Schul­form. Die Schüler*innen sind erfol­gre­ich nicht wegen, son­dern trotz der Wal­dorf­schule. Für rund jedes zweite Kind geht es nicht so gut aus: Die Abbrecherquote ist immens, die Kinder gehen noch vor ihrem Abschluss – oder sie wer­den gegan­gen. Zum Abschluss wer­den nur wenige hand­ver­lesene Schüler*innen zuge­lassen, die dann oft eine beson­dere „Aufmerk­samkeit“ erfahren. So sehen die Abi-Ergeb­nisse von „Wal­dorf“ und „Regelschule“ dur­chaus ähn­lich aus. Über die Art der „Päd­a­gogik“, die vorher stattge­fun­den hat, sagen die Abiturnoten jedoch wenig aus.

Müsste man diese Schulen stärk­er regulieren? 

Teils ja, teils nein. Geset­zliche Aus­nah­men für die Wal­dorf­schule, die ja eine staatlich anerkan­nte Ersatzschule ist, soll­ten über­prüft wer­den. Auch die Kirchen müssen sich an die staatlichen, wis­senschaftlich erar­beit­eten Lehrpläne hal­ten. „Wal­dorf“ jedoch nicht. Ihr ganz eigen­er Wal­dorf-Lehrplan basiert auf Hellse­herei und wider­legten Konzepte aus der Antike. Die Regelschule hat der­lei seit 100 Jahren abgelegt. Dass Wis­senschaftsmin­is­te­rien diese Lehrpläne durch­winken, ist ein Skandal.

Die Wal­dorf­schule ist durch Grundge­setz §7 geschützt, und das ist auch gut so. Dort ste­ht über das Grün­den von Ersatzschulen:

Die Genehmi­gung ist zu erteilen, wenn die pri­vat­en Schulen in ihren Lehrzie­len und Ein­rich­tun­gen sowie in der wis­senschaftlichen Aus­bil­dung ihrer Lehrkräfte nicht hin­ter den öffentlichen Schulen zurück­ste­hen und eine Son­derung der Schüler nach den Besitzver­hält­nis­sen der Eltern nicht gefördert wird.“

Ich bezwei­fle, dass die Wal­dorf­schulen diese Vor­gaben erfüllen. Wed­er sind die Lehrziele der eso­ter­ischen Pri­vatschule iden­tisch zu denen der Regelschule, noch wer­den Wal­dor­flehrkräfte „wis­senschaftlich“ aus­ge­bildet. Das Gegen­teil ist der Fall. Nach einem Eso­terik-Sem­i­nar, dass oft haupt­säch­lich aus dem Lesen von Tex­ten Rudolf Stein­ers und wenig päd­a­gogis­chen Inhal­ten beste­ht, dür­fen Laien in jedem zweit­en Bun­des­land Kinder unter­richt­en. Und zwar die ersten 8 Jahre Schul­jahre, und das in sämtlichen Fäch­ern. Auch die ver­botene Son­derung nach Besitzver­hält­nis­sen ist zumin­d­est frag­würdig. Ein Herr Pro­fes­sor mit Geld und Beziehun­gen ist als Wal­dor­f­vater in der Real­ität oft attrak­tiv­er als ein Hartz4-Empfänger, der sich das Schul­geld vom Munde abspart. Der Staat jedoch schaut nur ganz am Ende mal nach den Waldorfschüler*innen – bei den Abschlüssen. Solange die Quoten mit denen der Regelschule ver­gle­ich­bar sind, wird auf dem Weg zum Abschluss schon alles gut gegan­gen sein.

Wal­dorf­schulen müssen zwar auch bess­er reg­uliert, wichtiger noch aber viel stärk­er kon­trol­liert wer­den. Eine Kon­trolle find­et in der Prax­is jedoch so gut wie nicht statt. Staatliche Unter­suchun­gen in Schwe­den (2021) und Großbri­tan­nien (2020) ergaben, dass 8 von 10 Wal­dorf­schulen in diesen Län­dern schlechte Arbeit leis­ten. Eine Unter­suchung der deutschen Schulen, die schon seit den 1980ern in der öffentlichen Kri­tik ste­hen, ist überfällig.

In Din­gen wie der Per­son­alpoli­tik, z. B. bei frag­würdi­gen Wal­dor­flehrkräften, die als Impfgeg­n­er, Ver­schwörungside­ologin­nen oder Rechte in Erschei­n­ung treten, haben die Behör­den jedoch keine Befugnis.

Anthroposophie und rechtsextreme Querfronten

Die Proteste gegen die Coro­na-Poli­tik der let­zten Jahre zeigten häu­fig Quer­frontver­flech­tun­gen, welche auch ins­beson­dere in Anthro­poso­phie-Gemein­schaften geteilt wur­den.  Woran liegt es, dass solche Kam­pag­nen dort so gut wirken?

Die Anthro­poso­phie Rudolf Stein­ers gilt als der eso­ter­ische Arm der Quer­denken-Bewe­gung. Ihre Wal­dorf­schulen, seit Jahrzehn­ten bekan­nt als Hochbur­gen der Impfgeg­n­er­schaft, ist heute die Hochburg von Quer­denkerIn­nen – sowohl in der Eltern­schaft als auch in der Belegschaft.

Die Grun­dan­nah­men der Anthro­poso­phie gle­ichen denen von Ver­schwörungserzäh­lun­gen: Alles fol­gt einem großen Plan, den nur wenige ken­nen. Nichts ist so wie es scheint, denn die Wahrheit wird uns voren­thal­ten. Alles ist mit allen ver­bun­den. Und es gibt immer einen Gut-Böse-Dual­is­mus mit „uns“ (den Eingewei­ht­en) und „denen“ (den Schlaf­schafen). Die Nähe von Eso­terik und Anthro­poso­phie zu Ver­schwörungs­denken liegt daher auf der Hand.

Das Impfen, vor dem Stein­er warnte, es würde uns die Seele aus­treiben, trägt eben­falls zu dieser Nähe bei, genau wie Stein­ers ras­sis­tis­che Ressen­ti­ments. So entste­ht eine Quer­front aus ver­meintlich „links­grü­nen“ Eso­terik­erIn­nen und ver­meintlich „staatskri­tis­chen Recht­en“. Gemein­sam marschieren sie gegen „die da oben“, den Staat und die ange­blich gle­ichgeschal­teten „Medi­en“ an. Bei­de Grup­pen vere­int eine gemein­same ide­ol­o­gis­che Klam­mer. Ob sie PACE- oder Reichs­fah­nen schwenken.

Fun­da­men­tal­is­tis­che und radikale Grup­pierun­gen ver­suchen immer wieder, mit Videospie­len und in Gam­ing-Com­mu­ni­tys bei poten­ziellen Rekrut:innen wie Jugendlichen anzu­dock­en. ‘Rekru­tiert’ die Anthro­poso­phie über­haupt? Und falls ja: Spie­len Videospiele, Pop­kul­turme­di­en und um Pop­kul­tur organ­isierte Inter­net-Com­mu­ni­tys eine Rolle bei der Rekrutierung?

Nein, die Anthro­poso­phie „rekru­tiert“ nicht in dem Sinne. Das muss sie auch nicht: In der biol­o­gis­chen Land­wirtschaft, in der „alter­na­tiv­en Medi­zin“ oder bei den freien Schulen war die eso­ter­ische Weltan­schau­ung schon immer Vor­re­it­er. Sie haben die „Alter­na­tiv-Branche“ in weit­en Teilen begrün­det und haben in diesen Nis­chen einen fes­ten Platz. Die Wal­dorf­schule und die biol­o­gisch-dynamis­che Land­wirtschaft boomen nach wie vor. Allein der Umsatz mit anthro­posophis­ch­er, meist homöopathisch verdün­nter Pseudomedi­zin stag­niert – auch, nach­dem Staat­en wie Frankre­ich die Kassenüber­nahme für Mit­tel ohne Wirk­nach­weis verweigern.

Die organ­isierte Anthro­poso­phie in Deutsch­land hat ein Nach­wuchs-Prob­lem. Nach den Skan­dalen um die eso­ter­ische Bewe­gung in der Pan­demie (Stich­wort: Quer­denken-Demos, Ver­schwörungsmythen und gefälschte Masken-Atteste) sinken die Anmel­dun­gen in allen Bere­ichen. Solange Men­schen aber weit­er bei Alnatu­ra, Deme­ter, Wele­da und Co. einkaufen, ist zumin­d­est die Mark­t­macht der Anthro­poso­phie gesichert.

Für die „jun­gen Leute“ ver­sucht man es neuerd­ings mit YouTube-For­mat­en, in denen Jung-Anthroposoph*innen ver­suchen, Rudolf Stein­ers Schau­un­gen in „höheren Wel­ten“ Das wirkt oft unpro­fes­sionell und unbeholfen:

Für viele Anthroposoph*innen sind aber die mod­erne, kom­plett tech­nisierte Welt und ins­beson­dere das Inter­net im wahrsten Sinne „Neu­land“.