Auszug aus Wagner, Pascal Marc, Becoming Their Enemy – Antifascist Gaming Network “Keinen Pixel den Faschisten!” and its Right-Wing Backlash. In: Denk N., Pfeiffer A., Serada A., Wernbacher T. (Hrsg.) 2021, “A LUDIC SOCIETY”, DOI 10.48341/b17g-3c33, tradition. Übersetzt von Keinen Pixel den Faschisten!.
In den aktivsten Tagen des GamerGate-Hashtags bemühten sich führende Akteur*innen der Hasskampagne, den Anschein einer ethischen Bewegung für eine gerechte Sache zu erwecken. Die meisten dieser Versuche wurden von progressiven Gaming-Websites oder breiteren Medien entlarvt (vgl. Valenti, 2017). Sie wurden infolgedessen aus den öffentlichen Argumentationen der GamerGate-Verteidiger*innen gestrichen, innerhalb etablierter GamerGate-Gruppen aber oft trotzdem weiter tradiert.
Als vermeintlich legitimer „Beweis“ von GamerGates Integrität dient Befürworter*innen online oft eine von Brad Glasgow im Dezember 2015 und Januar 2016 konzipierte Umfrage. In ihr wurden GamerGate-Unterstützer nach ihrer eigenen politischen Selbstbeschreibung gefragt. Glasgow selbst ist überzeugter GamerGate-Unterstützer auf YouTube und Twitter. Die Umfrage zeigt, dass GamerGater*innen sich selbst als politisch liberal und fortschrittlich wahrnehmen, während sie sich selbst immer noch als „die anti-progressive, anti-soziale Gerechtigkeits- und anti-feministische Bewegung” bezeichnen (Glasgow, 2016).
Eine Selbstumfrage wird als ‚Studie‘ gerahmt
Da es sich um eine gruppeninterne Selbstbefragung handelt, liegt es auf der Hand, dass die Umfrage keine akademische Aussagekraft hat. Vielmehr müsste sie als Primärquelle unter Berücksichtigung der psychologischen und sozialen Verzerrungen analysiert werden, die bei einer solchen Selbstbeobachtung zum Tragen kommen. Eine solche Analyse wurde innerhalb von GamerGate jedoch nie durchgeführt.
Stattdessen wird die Umfrage häufig in Online-Argumenten als „Beweis“ zitiert, um Außenstehende davon zu überzeugen, GamerGate sei eine progressive Bewegung. Bis heute ist diese Umfrage einer der seltenen Fälle, in denen ein GamerGate-Befürworter hinreichend akademische Methoden der Datenerfassung und ‑präsentation verwendet. Umstehende sollen der Umfrage dadurch einen Wert beimessen, den sie effektiv nicht hat.
Es sollte daher kaum verwundern, dass ein Zeitschriftenartikel von C. J. Ferguson und demselben Glasgow aus dem Jahr 2020 sich auf genau dieselbe Umfrage aus dem Jahr 2015/2016 bezieht (vgl. Ferguson & Glasgow 2020, S. 2). Er kommt dabei wenig überraschend zu denselben Schlussfolgerungen wie Glasgow im Jahr 2016. Durch seine Veröffentlichung als Journalbeitrag innerhalb formalisierter akademischer Standards erzeugt der Artikel einen Anschein von Seriosität. Dieser lässt ihn für Außenstehende und besonders für Kolleg*innen aus dem wissenschaftlichen Feld ohne Kenntnis des GamerGate-Diskurses glaubwürdig erscheinen. Dazu trägt auch seine Exklusivität bei: Der Artikel ist ein kostenpflichtiges Closed-Access-Paper, Interessierte müssen also bezahlen oder Zugriff über ein wissenschaftliches Institut anfordern, um ihn zu lesen. Dass es sich zusätzlich auch noch um ein legitimes, peer-reviewtes wissenschaftliches Journal handelt, gibt dem Beitrag einen zusätzlichen Anschein der Seriosität.
Er wird daher im GamerGate-Diskurs hauptsächlich in Form des Abstracts (Ferguson & Glasgow, 2020, Abstract) verbreitet, das den ursprünglich 2016 verbreiteten Mythos aufrechterhält. Interessanterweise wird im Abstract nicht offengelegt, dass sich der Artikel von 2020 auf die Umfrage von 2016 bezieht und keine neue Umfrage durchgeführt wurde. Es wird auch nicht explizit darauf hingewiesen, dass alle Behauptungen über die Progressivität nur Selbstbeschreibungen sind. Der Abstract lässt keine Möglichkeit zu, die wissenschaftlich zweifelhaften Methoden der Umfrage zu verifizieren. Es gibt damit auf Social Media so gut wie keinen Weg, die vermeintliche wissenschaftliche Glaubwürdigkeit der GamerGater*innen als das zu entlarven, was sie ist: Eine Diskursverzerrung.
Vermeintliche Wissenschaft als Deckmantel der Manipulation
Die Zusammenfassung wird also effektiv von GamerGater*innen genutzt, um ihre rechte Gesinnung im Gespräch mit unentschlossenen Zuschauern zu verschleiern. Diesen wird dadurch die Existenz verschiedener glaubwürdiger Studien vorgegaukelt, die die Progressivität von GamerGate zu belegen scheinen. In Wirklichkeit existiert hier tatsächlich nur eine einzige solche gruppeninterne Umfrage. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Artikel über die Umfrage 2020 häufig von GamerGate-Accounts in den sozialen Medien referenziert wurde, etwa um der Artikelserie von „Keinen Pixel” zu widersprechen (vgl. Keinen Pixel 2020). Dabei wird er nie tatsächlich zitiert, denn die Offenlegung der subjektiven Selbstbefragung würde das Argument der GamerGater*innen schwächen. Außerdem kann man durchaus davon ausgehen, dass viele GamerGater*innen, die die Referenz ihrer Gesinnungsgenoss*innen aufgreifen und selbst nutzen, ebenfalls keinen Zugriff auf den Beitrag haben. Es ist wahrscheinlich, dass diese überhaupt nicht wissen, wie sie in diesem Moment der eigenen Propagandamaschinerie aufsitzen.
Die Kombination dieser pseudowissenschaftlichen Selbstbestätigung dient als Grundlage für viele der auch heute noch aktuellen Argumentationsstrategien von GamerGate, oft gepaart mit positiv über GamerGate und negativ über einen vermeintlich „korrupten Spielejournalismus” reflektierenden Artikeln von GamerGate-Befürworter*innen-Websites wie nichegamer.com. Informationen von Seiten, die nicht explizit pro GamerGate sind, etwa Polygon.com oder breitere Medien wie der britische The Guardian, werden im Argumentationskanon von GamerGate meist nicht berücksichtigt. Insbesondere werden Verbindungen zu rechtsextremen Websites von GamerGate-Befürworter*innen mindestens seit 2016 geleugnet (vgl. Glasgow, 2016). Dabei haben investigative Medien wie The Guardian bereits 2016 damit begonnen, GamerGate mit rechtsextremen Wählerrekrutierungsbemühungen über breitbart.com in Verbindung zu bringen (Lees, 2016). GamerGate wurde von Donald Trumps Wahlkampfstrategen und ehemaligem Breitbart-Vorsitzenden Steve Bannon schnell als potenzielles Wahlkampfwerkzeug erkannt, und folglich wurden Gamer*innen mit rechtsextremen Tendenzen vom Trump-Wahlkampfteam angeworben (vgl. Keinen Pixel, 2020). Befürworter*innen führen gerne das Argument an, dass GamerGate nicht Breitbart um moralische Unterstützung gebeten hat, sondern umgekehrt. Ich halte das für ein nichtiges Argument, wenn man bedenkt, auf welch fruchtbaren Boden die Rekrutierungsbemühungen der Alt-Right bei GamerGate fielen.
- Bruckman, Amy. (22.05.2017). People with Your Politics are Not Welcome Here. <https://asbruckman.medium.com/people-with-your-politics-are-not-welcome-here-757d2636f83d>
- Ferguson, Christopher J. & Glasgow, Brad. (2020). Who are GamerGate? A descriptive study of individuals involved in the GamerGate controversy. In: Psychology of Popular Media. Advance online publication. <https://psycnet.apa.org/record/2020–15670-001>
- Glasgow, Brad. (21.11.2016). No, Gamergate is Not Right Wing. <http://www.gameobjective.com/2016/11/21/no-gamergate-is-not-right-wing/>
- Keinen Pixel den Faschisten. (16.11.2020). GamerGate, eine Retrospektive. <https://keinenpixeldenfaschisten.de/2020/11/16/gamergate-eine-retrospektive-download/>
- Lees, Matt. (01.12.2016). What Gamergate should have taught us about the ‚alt-right’. Theguardian.com. <https://www.theguardian.com/technology/2016/dec/01/gamergate-alt-right-hate-trump>
- Valenti, Jessica. (24.09.2017). Zoe Quinn: after Gamergate, don’t ‚cede the internet to whoever screams the loudest’. <https://www.theguardian.com/technology/2017/sep/24/zoe-quinn-gamergate-online-abuse>