Marketa Spiritova (PD Dr.) ist Kulturwissenschaftlerin und Europäische Ethnologin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Erinnerungskultur, Nationalismus, Oral History, Populäre (Jugend)Kultur und die Regionen des östlichen Europa. Wir haben sie zu den Gefahren des Nationalismus und ihrer Arbeit an der Popkultur-Forschungstagung Pop the Nation! interviewt.
Sie forschen zu Nationalismus in der Popkultur. Können Sie uns einmal kurz erklären, was das bedeutet?
Es geht um Angebote der populären Kultur wie Musik, Comics, Videospiele oder Graffiti, die nationalistische Aussagen beinhalten, also Aussagen, die die eigene Nation überhöhen und anderen Nationen negative Eigenschaften zuschreiben. Das geschieht oftmals nur implizit, indem das nationale Selbstbild auf sehr eng geführten Zugehörigkeiten fußt: in der Regel auf der Abstammung zu einem homogenen „Volk“, das sich über eine Religion, eine (weiße) Hautfarbe, ein vermeintlich angestammtes Territorium, eine – wie auch immer definierte – „Kultur“ definiert.
Warum haben Sie begonnen, ihre ethnologische Forschung auf Popkulturmedien anzuwenden?
Die Europäische Ethnologie ist eine empirische Kulturwissenschaft, die zum einen von jeher den Blick auf den Alltag richtet und damit auf populäre Kulturen, auf Jugendkulturen, auf die Massenmedien. Zum anderen ist die Europäische Ethnologie von der britischen Cultural Studies inspiriert, die das Feld des Populären als politisch definieren, das heißt: auch pop(ulär)kulturelle Produkte sind Felder, auf denen Kämpfe um Deutungshoheit und Macht ausgetragen werden. Die Vorstellung, der vermeintlich banale Alltag und alles was dazu gehört, ist ein durch und durch politischer Ort, ein Ort, wo Machtverhältnisse und Machtkämpfe ausgemacht werden können, finde ich sehr spannend und erforschenswert.
der vermeintlich banale Alltag und alles was dazu gehört, ist ein durch und durch politischer Ort, ein Ort, wo Machtverhältnisse und Machtkämpfe ausgemacht werden können
Haben Sie innerhalb der Popkulturangebote, die Sie erwähnen, ein „Lieblings”-thema? Ein bestimmtes Medium oder Produkt, dass Sie in Hinsicht auf ihre Forschung besonders fasziniert?
Zum einen Musikprodukte, also Songtexte, Videos, Performances. Hier finde ich die Situation besonders im östlichen Europa spannend – und leider auch besorgniserregend, weil dort Nationalismen im Mainstream weitaus präsenter sind als zum Beispiel in Deutschland. Zum anderen, und das finde ich fast noch spannender, schaue ich mir die Rezeption der Musikangebote in den sozialen Medien an, wo über die Musik gesprochen, diskutiert, gestritten wird. Denn die Rezipient*innen schreiben den popkulturellen Angeboten ja Bedeutungen zu, oftmals ganz unabhängig davon was die Autor*innen meinen.
Nehmen Sie einen Trend hin zum Nationalismus in populären Medien in Deutschland wahr? Falls ja: Fallen Ihnen dabei vor allem bestimmte Medien auf?
Ja. Wir hatten diesen Trend in den Nullerjahren, man erinnere sich an etwa an „Wir sind wir“ von Paul van Dyk und Peter Heppner. In der Musik gibt es derzeit Beispiele zuhauf, Xavier Naidoo, Andreas Gabalier, Kollegah…
Worauf können Rezipierende achten, um nationalistische Tendenzen in Medien zu erkennen und zu reflektieren?
Oft beginnt es mit einem vermeintlich belanglosen „das wird man doch sagen dürfen“, „das ist Freiheit der Kunst“, „das ist patriotisch, nicht nationalistisch“. Nationalismen gleich zu erkennen, ist nicht immer einfach, denn oftmals äußern sie sich zunächst nur in Andeutungen und Uneindeutigkeiten, die viel Raum für Interpretation lassen. Der Rückgriff auf historische Mythen sollte einen aufhorchen lassen, z.B. jene, die im 19. Jahrhundert die Nationen konstituierten, Germanenmythen oder Erzählungen über die deutschen Trümmerfrauen. Ferner die Überhöhung der eigenen Nation durch nationale Symbolik, ein vermeintliches „Spiel“ mit nationalsozialistischer Geschichte und Ästhetik oder die Verwendung von populistischen Metaphern wie „Das Boot ist voll“.
Meist verweisen aber sogenannte „small words“, wie sie der Sozialanthropologe Michael Billig genannt hat, auf Nationalismen: immer wenn von „uns“, „unserem Land“, von einem „wir“ die Rede ist, sollte man genau hinsehen und sich fragen, wer mit diesem „wir“ eigentlich gemeint ist. Dann entdeckt man, dass weiße, heteronormative, ethnisch homogene Heimatwelten beschworen, historische Tatsachen verdreht und antisemitische, rassistische und sexistische Stereotypen bedient werden.
immer wenn von „uns“, „unserem Land“, von einem „wir“ die Rede ist, sollte man genau hinsehen und sich fragen, wer mit diesem „wir“ eigentlich gemeint ist
Sie haben die Tagung Pop the Nation! mitorganisiert. Möchten Sie diese zum Abschluss kurz vorstellen, vielleicht einen besonders eindrucksvollen Vortrag zum Nachhören oder ein Buch empfehlen?
Die Tagung befasste sich mit der Nation als Ressource und Argument in populären Kulturen aus europäisch-ethnologischer Perspektive. Anhand von Musikszenen, Modelabels, Computerspielen, Comics, Memes und Spielfilmen zeigte sie auf, wo und wie in der Popkultur nationale Selbst- und Fremdbilder verhandelt werden, wie dort Nationalismen und Rassismen produziert werden. Und gerade popkulturelle Produkte tun das sehr erfolgreich, denn sie verfügen über hohe emotionale Qualitäten aufgrund ihrer sinnlich-körperlichen Wahrnehmbarkeit, kommerziellen Bedingtheit und oft spektakulären Visualität. Empfehlen kann ich hier etwa die Arbeiten von Agnieszka Balcerzak und Jos Stübners zu Polens rechter Popkultur oder Jelena Jazos Buch zur faschistoiden Ästhetik in der Jugendkultur in Deutschland.