In den letzten Wochen ging wieder einmal ein Ruck durch die Games-Branche. In den sozialen Medien, besonders auf Twitter, tauchten Berichte von Entwickler*innen auf, insbesondere von Frauen und nicht-binären Personen, die von übergriffigem Verhalten und Missbrauch in der Branche berichteten. Die Anschuldigungen reichten von unprofessionellem Verhalten wie ungewollten Komplimenten oder Flirts bis hin zu sexualisierter Gewalt.
Ins Zentrum der sich daraus entspinnenden Diskussion geriet vor allem Ubisoft, wo offenbar über Jahre und Jahrzehnte Täter geschützt wurden. Doch es greift zu kurz, die aktuelle Anschuldigungswelle auf ein Studio oder einzelne Entwickler*innen zu reduzieren. Denn nichts davon ist neu.
Die aktuellen Veröffentlichungsfälle ereigneten sich nicht einmal ein volles Jahr nach den letzten. Damals waren es Namen wie Alexis Kennedy, Jeremy Soule oder Alec Holowka, die besonders oft genannt wurden. Dieses Mal sind es Namen wie Chris Avellone, Maxime Béland oder Ashraf Ismail. Im Grunde sind Namen austauschbar, denn dahinter steht ein System..
Das Ergebnis einer langen Tradition
Die aktuelle Anschuldigungswelle als “MeToo-Moment” der Branche zu bezeichnen, ist falsch. Innerhalb eines Jahres wurde so gleich mehrfach der ersehnte MeToo-Moment der Games-Branche ausgerufen, mehrfach wurden einzelne Personen öffentlich beschuldigt und teilweise auch entlassen. Wenn aber das System dahinter das gleiche bleibt, dann kann an dieser Ausrufung eines heilenden MeToo-Moments etwas nicht stimmen. MeToo ist keine Momentaufnahme. Ein Moment geht vorbei, MeToo dagegen nicht. MeToo, das hat sich immer wieder gezeigt, ist eine ganze Bewegung, die weit über die pressewirksamen Tweets 2017 hinausgeht. Die Games-Branche dagegen hat ein ganz offensichtliches und vor allem strukturelles Problem mit Missbrauch. Einzelfälle haben hier System.
Schon im Januar 2018, ein paar Monate, nachdem der Hashtag zur MeToo-Bewegung explodiert war, schrieb die Journalistin Keza MacDonald einen ausführlichen Kommentar darüber, warum die MeToo-Bewegung zu diesem Zeitpunkt an der Games-Branche fast schon vorbeizuziehen schien. Sie schrieb: “Ironischer Weise liegt das nicht daran, weil es keine Belästigung am Arbeitsplatz in der Games Branche gäbe. Der Grund ist viel mehr, dass Frauen schmerzhafte Erlebnisse nicht öffentlich ausbreiten wollen.”
Die Kritik an sexistischen Arbeitsumfeldern in der Games-Branche war schon damals nichts Neues. Ganz im Gegenteil: Die Versuche und aktivistischen Bestrebungen, auf systemische Probleme hinzuweisen, gibt es schon lange. Sie sind selbst älter als die Kampagne GamerGate, die seit 2014 häufig als entscheidender Eskalationsmoment in der Diskussion um Sexismus, Belästigung und sexualisierte Gewalt in der Gaming-Branche und ihren Communities gesehen wird. “Frauen sprechen schon lange über eine sexistische Arbeitskultur in der Games Branche”, erklärt so Keza MacDonald weiter in ihrem Artikel von 2018, “Die #1reasonwhy-Bewegung aus dem Jahr 2012 ist eines von vielen Beispielen für Momente, in denen Frauen aus allen Teilen der Branche ihre Erfahrungen mit Diskriminierung geteilt haben. Und die Gründe für diese Diskriminierung sind nach wie vor geblieben, auch wenn es ein wenig ermutigend ist, dass jetzt langsam Leute anfangen, zuzuhören.” Sie wirft der Öffentlichkeit zum Beispiel auch weiterhin vor, während Gamergate 2014 zu wenig auf Frauen und Marginalisierte gehört zu haben. Stattdessen hat sich eine “deprimierende Mehrheit” der Presse damals dazu entschlossen, die Angelegenheit entweder so lange zu ignorieren, wie es nur ging oder versucht, sich mit Ausreden aus der Affäre zu ziehen. Sie fragt deshalb: “Wundert es da irgendwen, wenn Frauen Reporter*innen ihre Geschichten nicht anvertrauen wollen? Warum fühlt es sich so an als ob die Games Branche nur dann Frauen zuhört, wenn ihr Trauma bereits Thema ist?”
Dazu kommt, dass die übergriffigen Verhaltensmuster und ihre Duldung auch einen direkten Einfluss auf die Zusammensetzung der Branche haben. Wie andere technisch orientierten Berufe, ist auch die Spieleentwicklung nach wie vor männlich dominiert. Nicht einfach nur, weil Frauen sich nicht dafür interessieren würden, sondern weil die Branche es in vielen Fällen nicht schafft, sie zu halten.
Während die Arbeitsbedingungen für Entwickler*innen in oft nicht besonders gut sind, kommt für Frauen noch struktureller Sexismus und Übergriffigkeit hinzu. So lange, bis einige von ihnen schließlich schlicht die Branche verlassen.
Auch wenn gerade vor allem die Rede von Missbrauchsfällen bei Ubisoft ist, ist längst klar, dass die Probleme dahinter strukturell sind. Sexismus ist tief in der Branche verwurzelt. Das galt in den 70ern genauso wie heute: Die Spielebranche kann ihr Missbrauchsproblem nicht Person für Person lösen.
- Megan Farokhmanesh: Ubisoft’s toxic culture problems allegedly span more than a decade of abuse, https://www.theverge.com/2020/7/21/21332534/ubisoft-serge-hascoet-harassment-sexism-racism-metoo
- Megan Farokhmanesh: Gaming can’t fix its abuse problem one person at a time, https://www.theverge.com/21307560/gaming-abuse-harassment-systemic-ubisoft-chris-avellone
- Keza MacDonald: The video games industry isn’t yet ready for its #MeToo moment, https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/jan/24/video-games-industry-metoo
- Daniel Ziegener: Spielebranche sucht Entwickler (m/w/d), https://www.golem.de/news/jobs-spielebranche-sucht-entwickler-m-w-d-1912–144709.html
- Dennis Kogel: Spieleentwicklerinnen wehren sich gegen Sexismus, https://www.deutschlandfunkkultur.de/metoo-in-der-gamingbranche-spieleentwicklerinnen-wehren.1264.de.html?dram:article_id=480809
- Cecilia D’Anastasio: Sex, Pong, And Pioneers: What Atari Was Really Like, According To Women Who Were There, https://kotaku.com/sex-pong-and-pioneers-what-atari-was-really-like-ac-1822930057
- Cecilia D’Anastasio: Inside The Culture Of Sexism At Riot Games, https://kotaku.com/inside-the-culture-of-sexism-at-riot-games-1828165483/amp