Der Vor­wurf, Frauen wür­den Anschuldigun­gen gegen andere oder auch nur Berichte über ihre eige­nen Sex­is­mus-Erfahrun­gen erfind­en, um Aufmerk­samkeit zu gener­ieren, ist nicht neu – auch nicht im Gam­ing. Ger­ade in Diskus­sio­nen um einzelne Stream­erin­nen, eSport­lerin­nen oder andere Frauen, die hier in der Öffentlichkeit ste­hen, kom­men diese und ähn­liche Argu­mente regelmäßig auf. Wir haben die gängig­sten davon ein­mal zusam­mengestellt und auf Basis von Sta­tis­tiken u.ä. auf Herz und Nieren geprüft.


 

Falschbeschuldigungen für Aufmerksamkeit?

Der Mythos der Falschbeschuldigung, ins­beson­dere im Kon­text von sex­ueller Beläs­ti­gung, Über­grif­f­en und Verge­wal­ti­gungs­de­lik­ten, ist ein weit ver­bre­it­etes und schädlich­es Missver­ständ­nis. Es wird oft behauptet, dass Frauen solche Anschuldigun­gen aus Aufmerk­samkeits­grün­den erheben, obwohl die Real­ität eine ganz andere ist.

In einem Artikel der Süd­deutschen Zeitung wird dieses The­ma aus­führlich behan­delt. Der Artikel stellt fest, dass die Angst vor Falschbeschuldigun­gen oft auftritt, wenn einem berühmten Mann sex­uelle Gewalt vorge­wor­fen wird. Es wird darin jedoch auch betont, dass diese Äng­ste weit­ge­hend unbe­grün­det sind und oft auf einem verz­er­rten Selb­st­bild von Män­nern beruhen, die sich unter Gen­er­alver­dacht gestellt sehen.

Die Real­ität ist, dass Falschbeschuldigun­gen für sex­uelle Gewalt sehr sel­ten sind. Je nach Unter­suchung, Land und poli­tis­ch­er Welt­sicht der Autoren vari­iert der Anteil der Falschbeschuldigun­gen an tat­säch­lich angezeigten Verge­wal­ti­gun­gen zwis­chen zwei und acht Prozent. Der Bun­desver­band der Frauen­ber­atungsstellen und Frauen­notrufe set­zt den Anteil der Falschbeschuldigun­gen in Deutsch­land bei drei Prozent an und beruft sich auf eine europaweite Studie zur Strafver­fol­gung von Verge­wal­ti­gung.

Es ist wichtig zu beto­nen, dass diese Zahlen nur die tat­säch­lich angezeigten Über­griffe betr­e­f­fen. Der größte Teil der Verge­wal­ti­gun­gen wird gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Die Dunkelz­if­fer ist hoch. Eine Studie im Auf­trag des Bun­desmin­is­teri­ums für Fam­i­lie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2004 gibt an, dass in 85,7% der Fälle sex­u­al­isiert­er Gewalt die Polizei nicht eingeschal­tet wird.

Die polizeiliche Krim­i­nal­sta­tis­tik zählt im Jahr 2017 in Deutsch­land 11.282 erfasste Fälle von Verge­wal­ti­gung oder sex­ueller Nöti­gung und 11.444 Opfer. Sieben Prozent dieser Opfer sind Män­ner. Selb­st wenn man ignori­ert, dass die reale Zahl der Verge­wal­ti­gun­gen noch deut­lich höher liegt, lässt sich die Aus­sage tre­f­fen, dass es für Män­ner wahrschein­lich­er ist, selb­st Opfer ein­er Verge­wal­ti­gung zu wer­den als fälschlicher­weise ein­er Verge­wal­ti­gung beschuldigt zu werden.

Es ist daher wichtig, den Mythos der Falschbeschuldigung zu ent­lar­ven und zu ver­ste­hen, dass die meis­ten Anschuldigun­gen von sex­ueller Gewalt tat­säch­lich auf wahren Ereignis­sen beruhen. Es ist auch wichtig zu erken­nen, dass die Anschuldigung solch­er Ver­brechen oft mit erhe­blichen neg­a­tiv­en Fol­gen für die Anklägerin ver­bun­den ist, ein­schließlich Stig­ma­tisierung, Hass und Mis­strauen, was die Idee, dass Frauen dies nur aus Aufmerk­samkeits­grün­den tun wür­den, noch unwahrschein­lich­er macht.

Die Geschichte von Amber Heard und John­ny Depp ist ein promi­nentes Beispiel, das die Kom­plex­ität und die Schwierigkeit­en bei der Aufdeck­ung von Fällen sex­ueller Gewalt verdeut­licht. Amber Heard, eine bekan­nte Schaus­pielerin, beschuldigte ihren dama­li­gen Ehe­mann John­ny Depp, sie physisch mis­shan­delt zu haben. Trotz der Tat­sache, dass Depp vor einem Gericht in Lon­don als gewalt­tätig gegenüber Frauen verurteilt wurde, wird er in weit­en Teilen der Gesellschaft immer noch als unschuldig ange­se­hen, während über Amber Heard weit­er­hin Mythen und Halb­wahrheit­en kursieren.

Depp ver­lor sein Ver­fahren in Großbri­tan­nien, gewann jedoch in den USA. Experten führen dies auf mehrere Fak­toren zurück, darunter die Tat­sache, dass das Ver­fahren in den USA vor ein­er Jury und der “Öffentlichkeit” stat­tfand, während das Ver­fahren in Großbri­tan­nien nur vor einem Richter stattfand.

In den USA wurde die Strate­gie „Leug­nen, Angreifen und Opfer und Täter umkehren” (DARVO) angewen­det; die wir im fol­gen­den Abschnitt genau erk­lären. Diese Strate­gie lenkt die Diskus­sion weg von der Frage, ob der Angeklagte Miss­brauch began­gen habe, hin zur Frage, ob das mut­maßliche Opfer glaub­würdig ist. Während Richter und Anwälte in Großbri­tan­nien diese Tak­tik erkan­nten und viele Beweise ablehn­ten, die nicht direkt die Frage klärten, ob Depp einen Angriff began­gen hat­te oder nicht, war diese Strate­gie gegenüber der Jury in den USA sehr effektiv.

Ein weit­er­er Unter­schied war, dass der Prozess in den USA im Fernse­hen über­tra­gen wurde, was ihn zu ein­er Art „Unter­hal­tungsshow” machte, welche von Mil­lio­nen von Men­schen ver­fol­gt wurde. Obwohl die Jury angewiesen wurde, nicht online über den Fall zu lesen, wur­den sie nicht isoliert und durften ihre Tele­fone behalten.

Heard musste erhe­blichen Hass und Misog­y­nie ertra­gen, sowohl von der Öffentlichkeit als auch von den Medi­en. Trotz der Beweise und der Unter­stützung, die sie erhielt, wurde sie oft als Lügner­in dargestellt und ihre Glaub­würdigkeit wurde infrage gestellt. Dies zeigt, dass selb­st bei ein­er bere­its promi­nen­ten Per­son eine Anschuldigung immer etwas ist, das teuer bezahlt wer­den muss – so gut wie nie­mand würde das frei­willig auf sich nehmen.

Diese Sit­u­a­tion unter­stre­icht die Notwendigkeit, den Mythos der Falschbeschuldigung zu ent­lar­ven und zu ver­ste­hen, dass die meis­ten Anschuldigun­gen von sex­ueller Gewalt tat­säch­lich auf wahren Ereignis­sen beruhen. Es ist auch wichtig zu erken­nen, dass die Anschuldigung solch­er Ver­brechen oft mit erhe­blichen neg­a­tiv­en Fol­gen für die Anklägerin ver­bun­den ist, ein­schließlich Stig­ma­tisierung, Hass und Mis­strauen, was die Idee, dass Frauen dies nur aus Aufmerk­samkeits­grün­den tun wür­den, noch unwahrschein­lich­er macht.

 

Was ist DARVO?

DARVO ste­ht für „Deny, Attack, and Reverse Victim and Offend­er” (Leug­nen, Angreifen und Umkehr von Opfer und Täter). Es han­delt sich dabei um eine Vertei­di­gungsstrate­gie, die häu­fig von Tätern von Fehlver­hal­ten, ins­beson­dere in Fällen von sex­ueller Beläs­ti­gung oder Miss­brauch, einge­set­zt wird.

Die DAR­VO-Tak­tik beste­ht aus drei Teilen:

 

Deny (Leugnen)

Der Täter leugnet die began­gene Hand­lung. Dies kann durch direk­te Ablehnung der Anschuldigun­gen oder durch das Infragestellen der Glaub­würdigkeit oder der Motive des Opfers geschehen.

Nicht sel­ten stellt der Täter dafür Teilaspek­te ein­er Anschuldigung als Missver­ständ­nisse, Ein­bil­dun­gen oder bewusste Lügen des Opfers dar. Solche Teilaspek­te lassen sich zumeist leichter leug­nen lassen als die Gesam­taus­sage des Opfers. Ger­ade im Fall von sex­ueller Beläs­ti­gung oder Über­grif­f­en im sozialen Kon­text gibt es nicht sel­ten wenige öffentlich zugängliche Beweise. Das erle­ichtert das Leug­nen und das Streuen von Zweifeln. Dem Opfer wird vorge­wor­fen Sit­u­a­tio­nen mißver­standen zu haben oder es wird behauptet, dass sex­uelle Hand­lun­gen ein­vernehm­lich stattge­fun­den haben.

Nicht sel­ten ist das Leug­nen in eine „Nicht-Entschuldigung” (engl. „non-pol­o­gy”) einge­bet­tet: Eine Aus­sage, die for­mal eine Entschuldigung zu sein scheint und in der Beschuldigte nicht sel­ten vage und unspez­i­fisch Ver­fehlun­gen eingeste­hen („Ja, ich habe Fehler gemacht, aber…”). So wird ver­meintlich­es Schuld­be­wußt­sein vorge­spielt und zugle­ich Argu­mente geliefert, dass der Beschuldigte doch Reue gezeigt hätte. Es ist ein Appell an die Emo­tio­nen des Pub­likums, die zum zweit­en Teil der Strate­gie überleitet.

 

Attack (Angreifen)

Der Täter greift das Opfer an, oft durch Charak­teran­griffe (“ad hominem”), Beschuldigun­gen oder Ver­suche, das Opfer zu diskred­i­tieren. Dies kann dazu dienen, das Opfer zum Schweigen zu brin­gen oder andere davon abzuhal­ten, dem Opfer zu glauben.

Dementsprechend kön­nen diese Angriffe in unter­schiedlich­ster Form daherkom­men: Ver­gan­ge­nes Ver­hal­ten des Opfers, dessen Auftreten, Ausse­hen, Aspek­te sein­er Iden­tität oder deren Beziehun­gen wer­den als neg­a­tiv dargestellt. Oft nimmt dies die Form von „Wie kann das Opfer dem Täter X vor­w­er­fen, wenn das Opfer in der Ver­gan­gen­heit Y gemacht hat?” an.

Diese Angriffe müssen dabei nicht ein­mal logisch mit den Anschuldigun­gen des Opfers zusam­men­hän­gen. Denn das Ziel der Angriffe ist es vor allem, emo­tion­al an das Pub­likum zu appel­lieren und es auf die Seite des Täters zu ziehen. Oder zumin­d­est die Glaub­würdigkeit des Opfers zu untergraben.

Dies erle­ichtert den drit­ten Teil der Strategie.

 

Reverse Victim and Offender (Umkehr von Opfer und Täter)

Der Täter stellt sich selb­st als das eigentliche Opfer dar und das Opfer als den eigentlichen Täter. Dies kann dazu dienen, Sym­pa­thie zu erzeu­gen und die Aufmerk­samkeit von dem eigentlichen Fehlver­hal­ten abzulenken.

Nach­dem der Täter bere­its Fehlver­hal­ten geleugnet hat und das Opfer als unglaub­würdig, wenn nicht sog­ar böswillig dargestellt hat, wird der Fokus mit der Täter-Opfer-Umkehr nun voll­ständig auf das Ver­hal­ten des Opfers gelenkt: Der Täter appel­liert an sein Pub­likum dessen ver­meintlich­es Fehlver­hal­ten zu the­ma­tisieren, statt sich mit den Tat­en des Täters zu beschäftigen.

Der im vorheri­gen Abschnitt beschriebene Vor­wurf, dass Opfer nur Aufmerk­samkeit auf Kosten des Täters erlan­gen woll­ten, ist dabei eine Form der Täter-Opfer-Umkehr. Der Täter stellt sich als Opfer ein­er böswilli­gen Kam­pagne dar, mit der das Opfer Anse­hen oder Prof­it machen will. Natür­lich gibt es viele andere Möglichkeit­en eine Täter-Opfer-Umkehr zu inszenieren.

Vor allem ist die Täter-Opfer-Umkehr aber nicht sel­ten mit einem direk­ten oder indi­rek­ten Aufruf an das Pub­likum aktiv zu wer­den (engl. „Call to Action”) ver­bun­den. Das Pub­likum kann daran mitwirken, die Unschuld des Täters zu „beweisen”, das Opfer zu „über­führen” oder zu „kon­fron­tieren”.

Dies ist nichts anderes als ein Aufruf, das Opfer beispiel­sweise mit einem Social-Media-Shit­storm zu überziehen, es zu belästi­gen oder schlim­meres. Ger­ade für Täter mit ein­er großen Fange­meinde ist dies eine effek­tive Meth­ode den öffentlichen Diskurs zu dominieren. Je mehr Fans des Täters dessen Angriffe ver­bre­it­en, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass die Anschuldigun­gen des Opfers keine Aufmerk­samkeit mehr erhal­ten. Das Opfer wird dementsprechend effek­tiv mund­tot gemacht.

 

Das bedeutet: DARVO ist eine mächtige Tak­tik, weil sie es dem Täter ermöglicht, die Kon­trolle über die Erzäh­lung zu behal­ten und das Opfer zu ent­macht­en. Sie kann dazu führen, dass das Opfer sich schuldig, ver­wirrt oder ent­mutigt fühlt und möglicher­weise aufhört, Gerechtigkeit zu suchen. Es ist daher wichtig, diese Tak­tik zu erken­nen und sie nicht zuzu­lassen, dass sie die Wahrnehmung oder das Ver­ständ­nis von Fehlver­hal­ten verzerrt.

 

Frauen haben es doch viel leichter?!

Der Mythos, dass Frauen als Stream­erin­nen es leichter hät­ten als Män­ner, ist weit ver­bre­it­et, aber bei genauer­er Betra­ch­tung zeigt sich ein anderes Bild. Frauen, die auf Plat­tfor­men wie Twitch strea­men, ste­hen oft vor erhe­blichen Her­aus­forderun­gen und erleben regelmäßig Beläs­ti­gun­gen und Miss­brauch. Eine Umfrage ergab, dass 59% der Frauen ihr Geschlecht beim Online-Spie­len ver­ber­gen, um Beläs­ti­gun­gen zu ver­mei­den, da 77% der Frauen geschlechtsspez­i­fis­che Diskri­m­inierung beim Spie­len erlebt haben.

Kait­lyn Sir­a­gusa, bess­er bekan­nt als Amouranth, ist eine promi­nente Stream­erin und Inter­net­per­sön­lichkeit, die sowohl für ihre Erfolge als auch für die Her­aus­forderun­gen, denen sie gegenüber­ste­ht, bekan­nt ist. Sie ist eine der bekan­ntesten weib­lichen Stream­erin­nen auf Twitch und hat sich einen Namen gemacht durch ihre Tanz‑, ASMR- und „Hot Tub”-Streaming-Inhalte. Vor­würfe gegenüber Amouranth sind oft misog­y­n­er Art, meist wird behauptet, sie würde Män­nern ‘Geld aus der Tasche’ ziehen, indem sie sich nur dafür bezahlen ließe, leicht bek­lei­det vor ein­er Kam­era zu sitzen. Gele­gentlich wird auch von “bait­ing” gesprochen, also dem Ködern von Män­nern zum Geld­spenden, die sich dafür weit­ere Entk­lei­dung erhof­fen. Solche Vor­würfe sind gegenüber Sexworker*innen weit ver­bre­it­et. Sie stellen dabei vor allem das Konzept Inter­net-Sex­work falsch dar: Als “Aus­nutzen” der Käufer oder Freier statt als Ange­bot ein­er Dien­stleis­tung durch Sexworker*innen. Außer­dem ver­suchen sie, durch Abw­er­tung der eigentlichen Arbeit von Sexworker*innen diese als faul darzustellen. Dabei zeigen Sta­tis­tiken und Inter­views am Beispiel Amouranth, wie viel Arbeit in ihren Streams steckt: Ihre durch­schnit­tliche Stream­länge war 2022 10,1 Stun­den pro Video, sie selb­st gibt an, in Hochzeit­en 19 bis 20 Stun­den am Tag zu arbeit­en. Laut ihrer Stream­ingsta­tis­tik hat Amouranth 42 Prozent aller Stun­den des Jahres 2022 gestreamt. Wie Vice doku­men­tierte, ver­brachte Amouranth von 2017–2021 60 Prozent aller Tage mit Arbeit: Das sind 1055 von 1826 Tagen. Zum Ver­gle­ich: Eine durch­schnit­tliche 5‑Tage-Arbeit kommt in fünf Jahren bei 30 Urlaub­sta­gen und dem Bun­des-Mim­i­mum 9 Feierta­gen auf 1105 Arbeit­stage, in Bay­ern mit 13 Feierta­gen wären es 1085. Amouranth ist also weit ent­fer­nt davon, “nicht zu arbeit­en” – erst recht, wenn man bedenkt, dass ihre Streams im Durch­schnitt bere­its ohne Vor- und Nach­bere­itung länger sind als ein deutsch­er Arbeitstag.
Im Fall von Amouranth gin­gen die Anfein­dun­gen sog­ar bis hin zu Bran­dat­tack­en auf ihr Zuhause. Als die Stream­erin in einem Video unter Trä­nen bekan­nt gab, dass ihr Ehe­mann sie mit manip­u­la­tivem Ver­hal­ten und der Dro­hung, ihre Hunde zu töten, zu Teilen ihrer Arbeit gezwun­gen hat­te, wurde auch das zum Ziel vom Has­sat­tack­en, denn eine so finanziell erfol­gre­iche Stream­erin könne diesen Erfolg ja niemals nicht genießen, so die Scheinargumente.

Der Fall um Amouranth ist ein Paradiebeispiel dafür, dass der Weg für Frauen in der Stream­ing-Welt oft mit erhe­blichen Hin­dernissen und Her­aus­forderun­gen ver­bun­den ist. Der Mythos, dass Frauen es leichter haben, ignori­ert die realen Prob­leme und Her­aus­forderun­gen, denen sie gegenüber­ste­hen, und unter­gräbt die Anstren­gun­gen und Leis­tun­gen, die sie trotz dieser Hin­dernisse erbringen.

 

Gatekeeping: Frauen spielen nicht oder „nur” „anders”?

Der Mythos, dass Frauen weniger spie­len als Män­ner, ist weit ver­bre­it­et, aber die Dat­en zeigen ein anderes Bild. Der deutsche Branchen­ver­band game e.V. erfasst z.B. in seinen Jahresta­tis­tiken auch immer das Ver­hält­nis zwis­chen weib­lichen und männlichen Spieler*innen. 2022 kam er auf einen Frauenan­teil von 48%, wie auch schon im Vor­jahr, und auch im inter­na­tionalen Ver­gle­ich zeich­net sich schon länger eine gle­ich­mäßige Geschlechter­verteilung unter Spieler*innen ab.

Ein altes Gege­nar­gu­ment, mit dem diesen Sta­tis­tiken oft wider­sprochen wer­den soll, ist, dass vielle­icht der Anteil von Frauen, die irgen­det­was spie­len, grob bei der Hälfte liegen mag, aber Frauen selb­stver­ständlich anderes als Män­ner und keine richti­gen Spiele spie­len wür­den. Echte Gam­ingkul­tur passiert in dieser Argu­men­ta­tion an den Kon­solen, während Frauen dage­gen nur in der Sta­tis­tik auf­tauchen, weil sie viele mobile games wie z.B. Can­dy Crush spie­len. Doch selb­st dieses Argu­ment lässt sich inzwis­chen mit harten Zahlen wider­legen: Laut dem Mark­t­forschungsin­sti­tut Cir­cana, die regelmäßig den US-amerikanis­chen Spiele­markt unter­suchen, sind z.B. im Jahr 2023 47% aller Konsolenspieler*innen in den USA weib­lich und auch die Zahlen bei den Besitzer*innen unter­schiedlich­er Kon­solen sehen ähn­lich aus. Unter den Besitzer*innen der PlaySta­tion 5 sind 41% Frauen, bei der Xbox sind es 45% und bei der Nin­ten­do Switch 52%. Wie bei den Sta­tis­tiken zu Spieler*innen im All­ge­meinen rang­iert also auch bei Sta­tis­tiken zu den Kon­solen der Frauenan­teil bei Kon­solen grob bei der Hälfte. Obwohl diese Zahlen also recht ein­deutig sind und es auch schon vor ein paar Jahren waren, fol­gte auf die Veröf­fentlichung dieser Sta­tis­tik trotz­dem ein Shit­storm, in dem z.B. wieder die Behaup­tung aufkam, dass die Kon­solenbe­sitzerin­nen nur Müt­ter sein kön­nten, die diese Kon­solen für ihre Kinder bzw. Söhne gekauft hät­ten. Diese Reak­tion war vorherse­hbar und hat kein­er­lei Daten­ba­sis, aber sie verdeut­licht auch, wie Frauen selb­st dann, wenn es belast­bare Dat­en für ihr Inter­esse an Spie­len und Gam­ing gibt, dieses Inter­esse an Spie­len abge­sprochen wird.

Das ist nicht neu: Videospiele wur­den sehr lange nur oder wenig­stens primär an Jungs und Män­ner ver­mark­tet – Mäd­chen und Frauen kamen darin nicht als rel­e­vante Ziel­gruppe vor. Natür­lich haben viele Frauen und Mäd­chen trotz­dem auch schon damals gespielt, sie waren nur nicht diejeni­gen, die die Branche tat­säch­lich erre­ichen wollte. Das ging so weit, dass Spiele wie Bar­bie Fash­ion Design­er, das 1996 zu einem Verkauf­shit wurde und sich bess­er als viele Spieleklas­sik­er der Zeit verkaufte, Schwierigkeit­en hat­ten, über­haupt erst entwick­elt zu wer­den und später sehr schnell vergessen wur­den. Denn schließlich war Bar­bie ein Mäd­chen­spiel und damit nicht wichtig für das, was die Videospiel­branche als ihre Ziel­gruppe definiert hat­te. Das Argu­ment war und blieb, dass Frauen und Mäd­chen sich ange­blich nicht für Spiele inter­essieren wür­den und man sie deshalb ignori­eren kön­nte. Das wider­legen inzwis­chen nicht nur Sta­tis­tiken darüber, wer was spielt, son­dern auch his­torische Einord­nun­gen von Spie­len wie Bar­bie Fash­ion Design­er, aber das Klis­chee von Gam­ing als Jungsspielzeug ist nicht nur branchengemacht, son­dern auch zäh.

Diese Fokussierung auf Jungs und Män­ner hat­te und hat ganz direk­te Fol­gen, die bis heute oft für Gate­keep­ing genutzt wer­den: Spiele, die den Ruf haben, ein beson­ders weib­lich­es Pub­likum zu haben, wird gerne abge­sprochen, “richtige” Spiele zu sein. Das sieht man z.B. an Spie­len wie Sims, das lange als dig­i­tales Pup­pen­haus ver­schrien war, aber auch ganzen Gen­res wie Dat­ing Sims, Dres­sup-Spie­len, Farm­ingsims oder mobile games im All­ge­meinen. Diese Art Spiele wur­den sehr lange nicht oder weniger ernst genom­men, weil ihnen ein Ruf des Süßen, Pinken und Weib­lichen anhing, während z.B. Shoot­er immer der Inbe­griff von ern­stzunehmenden Spie­len waren. Bar­bie Fash­ion Design­er z.B. verkaufte sich im ersten Jahr sein­er Veröf­fentlichung bess­er als z.B. Quake oder Doom, während let­ztere Klas­sik­er wur­den, geri­et aber Bar­bie lange in Vergessen­heit. Und das, obwohl, die Mechaniken von Dres­sup-Games heute in den aller­meis­ten “ern­stzunehmenden” Rol­len­spie­len oder Shootern fest ver­ankert sind.

Tat­säch­lich leg­en solche Sta­tis­tiken und Verkauf­szahlen eher nahe, dass Frauen nicht unbe­d­ingt weniger spie­len als Män­ner, son­dern teil­weise ein­fach nur andere Spiele bevorzu­gen oder sich Gam­ing-Com­mu­ni­tys nicht sich­er fühlen und daher dort weniger sicht­bar sind. Die Gründe dafür kön­nen vielfältig sein: Viele Frauen erleben in Online­spie­len und Gam­ing-Com­mu­ni­tys noch immer sehr viel Beläs­ti­gung und Sex­is­mus und mei­den dadurch, selb­st wenn sie kom­pet­i­tive Spiele eigentlich mögen, aktiv manche Spiele, die als beson­ders tox­isch gel­ten. Das bee­in­flusst direkt die Menge an Frauen, die z.B. online als Stream­erin­nen oder eSport­lerin­nen Sicht­barkeit erlan­gen wollen. Das bedeutet: Grob die Hälfte aller Spieler*innen sind Frauen, aber Frauen zahlen einen unver­hält­nis­mäßig höheren Preis dafür, dass sie öffentlich als Spielerin­nen auftreten und so an Gam­ingkul­tur teil­nehmen, weil sie nicht nur in der Öffentlichkeit ste­hen, son­dern sich gle­ichzeit­ig mit Din­gen wie dem Sex­is­mus, der ihnen ent­ge­gen schwappt, auseinan­der­set­zen zu müssen.

Am Ende ist es in der Regel egal, was Frauen tun oder nicht tun und was sie spie­len oder nicht spie­len, weil ihre Daseins­berech­ti­gung in jedem Fall angezweifelt wird. Ein promi­nentes Beispiel für frauen­feindliche Angriffe auf Stream­erin­nen im deutschsprachi­gen Raum ist der Fall um Pia Scholz, auch bekan­nt als Shur­jo­ka. Sie wurde von der Jury des Deutschen Com­put­er­spiel­preis­es als Spielerin des Jahres für ihr anhal­tendes Engage­ment aus­geze­ich­net, Gam­ing mit poli­tis­ch­er Aufk­lärung zu verbinden. Trotz ihres Erfol­gs und ihrer pos­i­tiv­en Beiträge zur Gam­ing-Com­mu­ni­ty musste sie erhe­bliche Kri­tik und Gegen­wind aushal­ten, dass sie keine “echte Spielerin” wäre. Da wurde auf Twit­ter disku­tiert, ob dieser Preis für sie denn gerecht­fer­tigt sei, weil sie ange­blich zu viel in der Kat­e­gorie “Just Chat­ting” strea­men würde. Dass sie zu diesem Zeit­punkt beispiel­sweise auch schon 400 Stun­den Cru­sad­er Kings 3 gestreamt hat­te, spielte da plöt­zlich keine Rolle mehr. Eine ver­gle­ich­bare pedan­tis­che Kri­tik mussten männliche Gewin­ner des Preis­es nie über sich erge­hen lassen. Eine Frau kann eine ganze Kar­riere u.a. damit auf­bauen, dass sie Spiele streamt, im Zweifels­fall ist sie in den Augen von Gatekeeper*innen sowieso doch nicht Spielerin genug.

 

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