His­to­ry does not repeat itself, but it rhymes.
Mark Twain (zugeschrieben)

Eine Variante des "Anime Butterfly Meme". Links ist ein junger Mann mit Brille zu sehen, der überrascht einen Schmetterling ansieht. Über dem Mann steht "Rightwing", der Schmetterling ist mit "Anything" beschriftet und am unteren Rand des Bildes steht "Is this another GamerGate?"
Orig­i­nal: Nagoya TV/All-Nip­pon News Net­work, 1991

Vor fast genau 10 Jahren nahm Gamer­Gate seinen Anfang. Hin­ter dem Label und dem Hash­tag ver­barg sich damals vor allem ein recht­sex­tremer Online-Het­z­mob. Unter dem Deck­man­tel der „ethics in video game jour­nal­ism“ machte er Jagd im All­ge­meinen auf alles, was die Vertreter*innen der Kam­pagne als links wahrnah­men – im Beson­deren auf Frauen. Darum soll es an dieser Stelle aber nicht weit­er gehen, denn über Gamer­Gate ist nach zehn Jahren fast alles gesagt. Auch wir haben schon vor eini­gen Jahren ein aus­führlich­es Dossier über die Kam­pagne veröf­fentlicht.

Bere­its mehrfach haben recht­sex­treme Gamer*innen ver­sucht, eine Fort­set­zung von ur-Gamer­Gate zu insze­nieren. Das soge­nan­nte „Gamer­Gate 2.0” ist der neueste Anlauf.

Diese Kam­pagne, so viel kön­nen und müssen wir voranstellen, kann bish­er in kein­er­lei Hin­sicht mit der Reich­weite und dem Schaden von ur-Gamer­Gate in 2014 mithal­ten, son­dern bestätigt mehr die steigende Irrel­e­vanz dieser Strö­mung reak­tionär­er Spieler*innen im Gam­ing im All­ge­meinen. Trotz­dem ist es ist kein Zufall, dass Vertreter*innen der Kam­pagne das Gamer­Gate-Label bewusst unter dem­sel­ben Hash­tag noch ein­mal zu ver­wen­den ver­suchen. Dass ihnen das nicht auf dieselbe Weise wie vor 10 Jahren zu gelin­gen scheint, hat unter­schiedliche Gründe. Doch um diese Gründe zu ver­ste­hen, hil­ft es, einen groben Überblick über die Ereignisse von Gamer­Gate 2.0 zu haben. Dies ist das Ziel dieses Artikels, samt ein­er kri­tis­chen Einord­nung der Akteure und ihrer Angriffsziele.

 

 

Was ist „GamerGate 2.0“?

Anfang März 2024 ver­sam­melte sich ein Online-Het­z­mob unter dem Ban­ner „Gamer­Gate 2.0“. Der Mob richtete sich gegen Sweet Baby Inc., eine  kleine Beratungs­fir­ma aus Kana­da, die als extern­er Ser­vicean­bi­eter Spiele­hersteller bei der Entwick­lung von Geschicht­en unterstützt.

Dem Unternehmen wurde alles vorge­wor­fen, was für die extreme Rechte ein rotes Tuch darstellt: Sweet Baby Inc. soll Schwarze Fig­uren in Spiele einge­führt haben; die Fir­ma soll sich für LGBTQIA+-Repräsentation einge­set­zt haben; sie soll „Wok­ismus“ repräsen­tiert haben und weiße Men­schen unter­drück­en. Und das alles im Auf­trag der Welt­fi­nanz und des „Deep State“.

Egal, wie abstrus die Vor­würfe waren: Es dauerte nicht lange, bis die ersten recht­en bis recht­sex­tremen Sympathisant*innen wie etwa Elon Musk und Matt Walsh den Mob bemerk­ten und ihm zusät­zliche Sicht­barkeit gaben. Wie schon bei ur-Gamer­Gate sahen sich schnell nicht nur konkrete Entwickler*innen oder Fir­men, son­dern auch Journalist*innen und Wissenschaftler*innen dem Online-Ter­ror des Mobs aus­ge­set­zt. Sie wur­den offline und online mit Hass überzogen.

Doch während ur-Gamer­Gate für Monate, wenn nicht sog­ar Jahre tobte, war Gamer­Gate 2.0 Ende März schon wieder die Luft ausgegangen.

 

Was ist Sweet Baby Inc. und wie wurden sie zum Ziel von „GamerGate 2.0“?

Ent­ge­gen viel­er Darstel­lun­gen begin­nt der Hass auf Sweet Baby Inc. nicht erst im März 2024, son­dern bere­its im Okto­ber 2023 und damit ein halbes Jahr früher. Die genaueren Umstände sind nicht ganz klar, ver­mut­lich beste­ht allerd­ings ein direk­ter Zusam­men­hang zum Launch des Playsta­tion-Titels „Spi­der-Man 2“. Denn das Spiel war bere­its früh ins Visi­er recht­sex­tremer Kreise ger­at­en: Ein­er­seits durch den Schwarzen Co-Pro­tag­o­nis­ten Miles Morales, ander­er­seits durch im Spiel an mehreren Stellen platzierte Regen­bo­gen­flaggen. Bei­des war beson­ders ras­sis­tis­chen und queer­feindlichen Gamer­grup­pen ein Dorn im Auge. So weit, so wenig über­raschend, denn diese Grup­pen empören sich recht regelmäßig über Ele­mente in Spie­len, die nicht in ihr Welt­bild passen. Egal, ob sie wütend wer­den, weil Angr­bo­da in „God of War: Rag­narök“ von ein­er Schwarzen Frau verkör­pert wird, oder sich laut­stark über ein les­bis­ches Paar in der Haup­tquest von „Baldur’s Gate 3“ aufre­gen. Was in „Spi­der-Man 2“ nun anders war: Im Abspann des Spiels find­et sich auch Sweet Baby Inc., die Insom­ni­ac Games, das Stu­dio hin­ter dem Spiel, berat­en hatten.

Dies fällt erst­mals einem anony­men User der bei Recht­sex­tremen beliebten Plat­tform 4chan auf: Ein entsprechen­des Post­ing find­et sich dort Ende Okto­ber und wird noch am sel­ben Tag von dem während ur-Gamer­Gate gegrün­de­ten Red­dit-Forum r/KotakuInAction aufge­grif­f­en. Die entsprechen­den Ver­schwörungs­the­o­rien um Sweet Baby Inc. find­en sich bere­its hier: Sweet Baby Inc. soll ange­blich für die „wok­en“ Ele­mente in „Spi­der-Man 2“ ver­ant­wortlich sein. Auch in anderen Spie­len soll Sweet Baby Inc. dafür ver­ant­wortlich sein, dass in ihnen Schwarze Fig­uren und LGBTQIA+-Inhalte auftauchen.

Dazu gehören etwa “Alan Wake II” oder “God of War: Rag­narök”, an denen Sweet Baby Inc. mit­gear­beit­et hat­te: Auch hier wird der Fir­ma vorge­wor­fen, diese Spiele mit „wok­en Inhal­ten“ unter­wan­dert zu haben. Der Ras­sis­mus ist sofort offen­sichtlich, denn in bei­den Fällen beziehen sich die Kern­vor­würfe der Recht­sex­tremen auf das Auf­tauchen von Schwarzen Spielfig­uren in diesen Spie­len. Deren Vorhan­den­sein sei ein “Beweis” für „forced diver­si­ty“, eine klas­sis­che Ver­schwörung­spro­pa­gan­da, um das Auf­tauchen nicht-weißer Fig­uren zu erk­lären. Die GamerGater*innen sind sich einig: Das sei gle­ichzuset­zen mit man­gel­nder Qual­ität dieser Spiele.

Es dauert nur zwei Tage, bis die Vor­würfe gegen Sweet Baby Inc. in dem Het­z­fo­rum KF lan­den, dessen Namen wir hier bewusst abkürzen. KF ist bekan­nt für seine gnaden­losen Onlinekam­pag­nen, die bere­its mehrfach zu Todes­opfern geführt haben. Im Deutschen Kon­text ist KF durch seine Beteili­gung an der Kam­pagne gegen den “Drachen­lord” aufge­fall­en. Auf KF wer­den sofort per­sön­liche Infor­ma­tio­nen und Kon­tak­t­dat­en der Mitarbeiter*innen von Sweet Baby Inc. geteilt.

Spätestens zu diesem Zeit­punkt, am 28.10.23, begin­nt die Het­zkam­pagne gegen Sweet Baby Inc. Im Laufe der kom­menden Monate schwankt deren Inten­sität noch. Rechte Influencer*innen auf YouTube und anderen Plat­tfor­men greifen das The­ma immer wieder auf, allerd­ings ebbt das Inter­esse auch wieder ab.

 

Februar 2024: Die Kampagne wandert zu Steam

Dies ändert sich am 29. Feb­ru­ar 2024: Drei Tage zuvor war auf Steam eine Kura­tions-Liste mit dem Namen „Sweet Baby Inc. detect­ed“ angelegt wor­den, die Spieler*innen vor jenen Spiele war­nen soll, an denen Sweet Baby Inc. mit­gear­beit­et hat. Ein Mitar­beit­er der Fir­ma reagiert auf X/Twitter wütend darauf. Er fordert seine Follower*innen auf die Liste bei der Steam-Betreiber­fir­ma Valve zu melden. Nach aktuellem Stand (Mai 2024) ist die Liste noch immer aktiv und wird weit­er­hin aktu­al­isiert. Valve ist weit­er­hin nicht eingeschritten.

Die Recht­sex­tremen erken­nen in dem Aufruf auf X/Twitter ihre Chance zur Täter-Opfer-Umkehr: Sweet Baby Inc. ist in ihrer Erzäh­lung jet­zt nicht das Opfer ein­er monate­lan­gen ras­sis­tis­chen und queer­feindlichen Het­zkam­pagne – nein, Sweet Baby Inc. greift Spieler*innen an und fordert Zen­sur ihrer ange­blich berechtigten Vorbehalte!

Basierend auf  diesem Nar­ra­tiv baut die Kam­pagne jet­zt um Sweet Baby Inc. ein abstruses Feind­bild auf: Die Fir­ma mit weniger als 20 Mitarbeiter*innen soll ange­blich die gesamte Spiel­e­branche im Auf­trag von Invest­ment­fir­men kon­trol­lieren. Durch Sweet Baby Inc. wür­den Entwickler*innen und Stu­dios dazu gezwun­gen, „woke“ Inhalte, d. h. v. a. Schwarze Fig­uren und/oder Repräsen­ta­tion von Queer­ness, in ihre Spiele einzuführen.

Hier lässt sich auch ein entschei­den­der Unter­schied zwis­chen ur-Gamer­Gate und der neuen Kam­pagne bemerken: Gamer­Gate war entsch­ieden damit beschäftigt, misog­y­ne Nar­ra­tive zu ver­bre­it­en und Sex­is­mus zu vertei­di­gen, die neue Kam­pagne lässt beson­ders ihrem Ras­sis­mus freien Lauf. Sie stürzen sich beson­ders auf Schwarze Entwickler*innen. In ihren Ver­schwörungserzäh­lun­gen unter­stellen sie Sweet Baby Inc. und allen, die sie mit ihnen in Verbindung brin­gen, sie wür­den Ras­sis­mus gegen Weiße propagieren und/oder das Pro­gramm des „Großen Aus­tausches“ vorantreiben wollen. Schon zu diesem Zeit­punkt bedi­ent die Kam­pagne also ganz klar bekan­nte Verschwörungserzählungen.

 

Anfang März 2024: Der Name „GamerGate 2.0“ taucht auf

Der Onlineter­ror gegen Sweet Baby Inc. eskaliert nun: Die Mitarbeiter*innen der Fir­ma (beziehungsweise jene, die das zu diesem Zeit­punkt noch nicht getan hat­ten) sehen sich gezwun­gen, ihre Social-Media-Pro­file auf pri­vat zu stellen, während die Recht­sex­tremen ihre per­sön­lichen Dat­en nutzen, um sie zu bedro­hen: Sie wer­den bei Geschäftspartner*innen dif­famiert; Fam­i­lien­mit­glieder wer­den hineinge­zo­gen und eben­falls bedro­ht; Adressen der Opfer wer­den geteilt, um sie an deren Wohnort aufzusuchen oder sie zu „swat­ten“ (Miss­brauch von Notrufen, um Polizeiein­sätze zu provozieren). Auch Sweet Baby Inc. wird Opfer eines Swat­tings. Die Tak­tiken sind diesel­ben, wie während ur-Gamer­Gate: Das Leben der Opfer soll zer­stört werden.

Als Nuk­leus der Kam­pagne kristallisieren sich eine Foren­gruppe auf Steam sowie ein Dis­cord-Serv­er her­aus, die sich sofort mit anti­semi­tis­chem und neon­azis­tis­chem Mate­r­i­al füllen. Hier stacheln sich die Recht­sex­tremen immer weit­er an und teilen Infor­ma­tio­nen zu Sweet Baby Inc. und deren Mitarbeiter*innen. Rechte Influencer*innen steigern die Aufmerk­samkeit durch eine Flut an Videos auf Youtube.

Im Gegen­satz zu ur-Gamer­Gate, das lange unter­halb des Radars der Presse stat­tfind­en kon­nte, greifen bere­its Anfang März die ersten Games-Medi­en die Kam­pagne als The­ma auf und bericht­en darüber. Dies resul­tiert darin, dass viele der Journalist*innen selb­st zur Zielscheibe der Kam­pagne wer­den. Auch die Deutsche Games-Web­site GameS­tar wird so zu einem Angriff­sziel.

Es ist die englis­che Zeitung The Guardian, die erst­mals im Rück­blick auf ur-Gamer­Gate von „Gamer­Gate 2.0“ spricht. Die Recht­sex­tremen übernehmen begeis­tert die Beze­ich­nung. Schla­gar­tig nimmt auch das Postvol­u­men unter #GamerGate2 auf X/Twitter zu.

Die kri­tis­che Berichter­stat­tung erfasst dabei vor allem aber nicht nur die Kam­pagne selb­st, son­dern auch die Mitver­an­wor­tung der Plat­tform­be­treiber Valve und Dis­cord: Valve schließt zwis­chen­zeitlich die Foren­gruppe zu „Sweet Baby Inc. detect­ed“, nur um sie dann aus unbekan­nten Grün­den wieder zu öff­nen. Dis­cord zwingt die auf ihrer Plat­tform aktiv­en Recht­sex­tremen, neo-nazis­tis­ches und anti-semi­tis­ches Mate­r­i­al zu löschen, erlaubt der Gruppe aber weit­er­hin, dort aktiv zu bleiben.

Dadurch kann die Kam­pagne sich unge­hin­dert weit­er auf diesen Plat­tfor­men organisieren.

 

Mitte März 2024: Die nächste Eskalationsstufe

Was bis Mitte März noch weitest­ge­hend auf rechte Gamer-Kreise beschränkt war, nimmt eine neue Qual­ität an, als Influencer*innen der US-Amerikanis­chen Recht­en die Kam­pagne unter­stützen: X/Twit­ter-Besitzer Elon Musk pro­motet das The­ma. Der Pro­pa­gan­dist und selb­ster­nan­nte Faschist Matt Walsh äußert sich und wirbt für Unter­stützung. Recht­sex­treme Accounts wie „End­Wok­e­ness“ und „Lib­sOfTik­Tok“ feuern die Kam­pagne an.

Tweet von Elon Musk vom 12.03.24, in dem er einen Tweet quotet, der GamerGate 2 ausruft, und mit "Wow" kommentiert.

Die unter dem Namen „Lib­sOfTik­Tok“ agierende Influ­encerin Chaya Raichik bietet der Kam­pagne auch noch ein neues Ziel: In einem vor Desin­for­ma­tion strotzen­den Tweet wird die queere, Schwarze Spieleen­twick­lerin Dani Lolan­ders ange­grif­f­en. Lolan­ders hat­te in der Ver­gan­gen­heit als Indie-Devel­operin die queere Visu­al Nov­el “Val­i­Date” entwick­elt und veröf­fentlicht. In einem Gespräch hat­te sie sich dazu geäußert, dass sie vor allem andere queere, Schwarze Entwickler*innen für die Mitar­beit an diesem Spiel aus­gewählt hat­te. In ein­er absur­den Verz­er­rung der Tat­sachen wird Lolan­ders von Raichik als Lead Devel­operin bei dem Pub­lish­er EA dargestellt und behauptet, dass Lolan­ders Aus­sagen über “Val­i­Date” die von Lolan­ders durchge­set­zten Ein­stel­lungskri­te­rien bei EA seien: Also dass der Mil­liar­den-Konz­ern EA nur noch queere, Schwarze Mitarbeiter*innen ein­stellen würde.

Zwar arbeit­et Lolan­ders tat­säch­lich inzwis­chen als Autorin für EA, allerd­ings ist sie in kein­er Posi­tion um Mitarbeiter*innen bei EA einzustellen. Ihre Aus­sagen bezo­gen sich auch aus­drück­lich auf “Val­i­Date” und nicht auf ihre Arbeit bei EA. Raichik ver­dreht bewußt Tat­sachen, um Hass auf Lolan­ders zu schüren. Die Kam­pagne stieg darauf ein und griff Lolan­ders vor allem mit dem Vor­wurf des „Ras­sis­mus gegen Weiße” an.

Zeit­gle­ich wird auch die Extrem­is­mus­forscherin Rachel Kow­ert ange­grif­f­en: Kow­ert hat­te bere­its zu ur-Gamer­Gate Forschungsar­beit betrieben und später die Ini­tia­tive Take This gegrün­det. Diese Ini­tia­tive vere­inigt Akademiker*innen und Spielestu­dios, um Extrem­is­mus und Radikalisierung in Games und Gam­ing Com­mu­ni­ties zu erforschen.

Take This posi­tion­iert sich in einem all­ge­meinen State­ment öffentlich gegen Gamer­Gate 2.0 und Kow­ert teilt den Link über ihren per­sön­lichen Account auf X/Twitter. Daraufhin stürzt sich der Mob sowohl auf die Ini­tia­tive als auch auf Kow­ert persönlich.

Mit einem Mal wer­den jet­zt Kow­ert und ihre Arbeit zum Kern ein­er neuen Ver­schwörungserzäh­lung, nach der sie in Zusam­me­nar­beit mit dem US-Amerikanis­chen Depart­ment of Home­land Secu­ri­ty die Unter­wan­derung der Videospielein­dus­trie betreiben soll. Tat­säch­lich hat Take This bere­its Ende die Zusage für 2022 Forschungs­gelder vom Depart­ment of Home­land Secu­ri­ty erhal­ten, um extrem­istis­che Grup­pen in Gam­ing-Kon­tex­ten mon­i­toren und Anti­radikalisierungswork­shops entwick­eln zu kön­nen. Solche Anträge und Forschungs­gelder sind in der Wis­senschaft nor­mal und bedeuten nicht, dass Take This mit dem DHS kooperieren würde. Sie sind die logis­che Folge daraus, dass Staat­en weltweit inzwis­chen Gelder bere­it­stellen, um Radikalisierung online, inklu­sive in Gam­ing-Com­mu­ni­tys, erforschen zu lassen. Trotz­dem ist der Angriff auf Kow­ert ein weit­er­er Meilen­stein für Gamer­Gate 2.0, denn jet­zt stürzt sich – nach Entwickler*innen und Journalist*innen – die Kam­pagne auch zum ersten Mal aktiv auf Wissenschaftler*innen.

Auch weit­ere Net­zw­erke und Ini­tia­tiv­en gegen Extrem­is­mus wer­den hineinge­zo­gen: Das Extrem­ism and Gam­ing Research Net­work, die Anti-Defama­tion League, die Con­sul­tan­cy-Fir­ma Black Girl Gamers, die Games Devel­op­er Con­fer­ence, das Glob­al Project Against Hate And Extrem­ism und die Inter­na­tion­al Games Devel­op­er Asso­ci­a­tion. Sie alle wer­den zum Teil ein­er Pro­pa­gan­daerzäh­lung über eine Ver­schwörung von Staat, Entwickler*innen, Journalist*innen und Forschung gegen „die Gamer“ gemacht. Ende März 2024 kur­sieren ver­schiedene Grafiken und Videos, in denen diese Querverbindun­gen visu­al­isiert und eine große Ver­schwörung bewiesen wer­den soll. Auch deutsche Pro­jek­te wie Keinen Pix­el dem Faschis­mus, Good Gam­ing und die Amadeu-Anto­nio-Stiftung wer­den Teil der Verschwörungsnarrative.

 

Ende März 2024: Die Luft ist raus

Während die Kam­pagne sich immer weit­ere Ziele sucht, drän­gen in der Zwis­chen­zeit auch immer mehr Akteure auf den Plan. Viele von ihnen stam­men aus dem Umfeld von ur-Gamer­Gate: Sar­gon of Akkad, Mark Kern (auch bekan­nt unter seinem X/Twit­ter-Namen Grum­mz) oder Boogie2988 sehen eine Chance, wieder Rel­e­vanz zu erlan­gen. Das Resul­tat ist eine zunehmend unüber­sichtliche Lage, wo unter­schiedlich­ste Inter­essen kollidieren.

Die Kam­pagne ver­liert dabei immer stärk­er an Fokus. Die Anzahl der Ziele geht in die Dutzende: Sie umfasst Spieleentwickler*innen, Stu­dios, Con­sul­tan­cy-Fir­men, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, NGOs und mehr. Die Kam­pagne will „Wok­ismus“ im Gam­ing bekämpfen. Doch der inhalt­sleere Begriff ist zu vage, um daraus konkrete Strate­gien abzuleit­en. Gamer­Gate 2.0 bildet keine robusten Bünd­nisse mit anderen recht­en, „anti-wok­en“ Strö­mungen, die das auf­fan­gen kön­nten. Schon Mitte März über­wirft sich die Kam­pagne z. B. mit Matt Walsh, nach­dem dieser sie eigentlich zunächst unter­stützt hat­te. Er schreibt daraufhin auf X/Twitter, der Back­lash von Gamer­Gate 2.0 sei „tru­ly the dumb­est out­rage I’ve ever encoun­tered in my life. And man is that real­ly say­ing some­thing.“ Selb­st weit­ere Unter­stützung durch Elon Musk kann nicht ver­hin­dern, dass der recht­sex­treme Mob sich verläuft.

Tweet von Elon Musk vom 16.03.2024. Der Text lautet "Sweet Baby Inc is an evil blight on the gaming industry. All they do is make games terrible and try to cancel people. They cannot go broke soon enough!"

Spätestens nach Ostern 2024 wird selb­st den Stichwortgeber*innen klar, dass Gamer­Gate 2.0 die Luft aus­ge­gan­gen ist. Mark Kern, der sich längst in den Vorder­grund der Kam­pagne gedrängt hat, beklagt sich auf X/Twitter laut­stark über ver­meintliche „Shad­ow­bans“, weil seine Tweets nicht mehr so viele User wie zuvor erre­ichen wür­den. Zugle­ich geben viele recht­sex­treme Accounts die Ver­wen­dung der Hash­tags #Gamer­Gate und #GamerGate2 wieder auf.

Zwar ist es weit­er­hin lukra­tiv für rechte Influencer*innen (etwa auf Youtube), Con­tent zu der Kam­pagne zu pro­duzieren, dieser hat jedoch kaum neue Inhalte zu bieten. Es han­delt sich um typ­is­chen „Out­rage Con­tent“: Inhalte, die darauf set­zen, die Empörung der Zuschauer*innen anz­u­fachen und dadurch Inter­ak­tio­nen und Kom­mentare zu provozieren. Doch diese Videos kön­nen nur bere­its bekan­nte Infor­ma­tio­nen neu verpacken.

Stich­worte wie „Sweet Baby Inc.“ fördern auf Youtube zwar weit­er­hin unzäh­lige neue Videos zutage. Nur etablierte rechte Influencer*innen, die bere­its über Aufmerk­samkeit in ihrem vorhan­de­nen Pub­likum ver­fü­gen, erre­ichen allerd­ings noch ein größeres Publikum.

Andere, später aus­gegebene Ziele der Kam­pagne wie etwa die Con­sul­tan­cy-Fir­ma NNESAGE, die ähn­liche Ser­vices anbi­etet wie Sweet Baby Inc., die Com­mu­ni­ty Black Girl Gamers oder die Wis­senschaft­lerin Rachel Kow­ert funk­tion­ieren als anheizen­des The­ma auf Plat­tfor­men wie YouTube offen­sichtlich nicht.

Die Akteure des recht­sex­tremen Mobs ver­suchen stattdessen, Anschluss an andere pop­uläre The­men zu find­en: Eine Com­mu­ni­ty-Man­agerin des über­aus pop­ulären Spiels „Hell­divers 2“ wird zu einem Angriff­sziel, weil sie sich öffentlich über Mod­er­a­tionskri­te­rien äußert und erk­lärt, dass Hate Speech aus der Com­mu­ni­ty des Spiels ent­fer­nt wird. Das Stu­dio unter­stützt seine Mitar­bei­t­erin und ignori­ert die Angriffe.

Mit anderen Worten: Gamer­Gate 2.0 gelingt es nicht mehr, eigene The­men zu set­zen und es erre­icht damit seinen vor­läu­fi­gen Endpunkt.

 

Ein Fazit (für den Moment)

Die Gefahren, die von recht­sex­tremen Onlinemobs aus­ge­hen, sollen keines­falls ver­harm­lost wer­den: Per­so­n­en, die sich als deren Ziele wiederfind­en, sehen sich ein­er Flut an Hass und Dro­hun­gen aus­ge­set­zt. Nicht sel­ten wird ihr soziales Umfeld auch außer­halb von Online-Medi­en in Mitlei­den­schaft gezo­gen. Meth­o­d­en und Ziele sind hier­bei seit ur-Gamer­Gate in 2014 im Kern unverän­dert geblieben: Poli­tisch motiviert­er Online-Ter­ror soll Per­so­n­en aus­gren­zen und mund­tot machen. Dies entspricht der klas­sis­chen Funk­tion von Ter­ror: Das beobach­t­ende Pub­likum soll eingeschüchtert wer­den, um sich (in diesem Fall) nicht gegen Sex­is­mus, Ras­sis­mus, Queer­feindlichkeit und/oder recht­sex­tremen Hass im All­ge­meinen einzuset­zen. Diese Strate­gien wer­den von recht­en und rechts-kon­ser­v­a­tiv­en Akteuren beispiel­sweise auch gegen die deutsche Stream­erin Shur­jo­ka eingesetzt.

Die Opfer der­ar­tiger Kam­pag­nen benöti­gen weit­er­hin Unter­stützung und Schutz gegen recht­sex­treme Online-Mobs.

Obwohl im Falle von Gamer­Gate 2.0 auch Influencer*innen des recht­en bis recht­sex­tremen Main­stream in den USA (z. B. Musk, Walsh, Raichik) ver­sucht haben, den Mob zu unter­stützen, hat deren Ein­satz nur kurzfristige Effek­te gezeigt: Der Gamer­Gate 2.0‑Kampagne gelang es nicht, in den Main­stream vorzus­toßen und dort weit­ere Unter­stützer zu rekru­tieren. Im Gegen­satz zu ur-Gamer­Gate hat Gamer­Gate 2.0 die meiste Zeit kaum mehr als bekan­nt recht­sex­treme Gamerkreise mobil­isieren können.

Genau das unter­schei­det Gamer­Gate im Jahr 2014 von Gamer­Gate im Jahr 2024: Ur-Gamer­Gate gelang es 2014 mit dem bewusst vagen Slo­gan der „Ethics in Video Games Jour­nal­ism“, eine bre­ite Masse an Spieler*innen zu erre­ichen und so für sich zu mobil­isieren. Das gelang Gamer­Gate 2.0 gut zehn Jahre später nicht mehr.

Die Gründe dafür dürften vielfältig sein. Ein Fak­tor ist sich­er der Bedeu­tungsver­lust von X/Twitter; ein ander­er die Games­branche und die Game­spresse selb­st, die sich dieses Mal deut­lich weniger darauf ein­ge­lassen haben, der Kam­pagne einen Anschein von Legit­im­ität zu geben. Doch das Scheit­ern von Gamer­Gate 2.0 liegt nicht zulet­zt auch am selb­ster­schaf­fe­nen Image der Kam­pagne: Der Angriff auf Sweet Baby Inc. strotzte von Anfang an vor Ras­sis­mus, Sex­is­mus und Queer­feindlichkeit. Unter den aktiv­en Poster*innen gab es nur wenig Bemühun­gen, das in den ein­schlägi­gen Hash­tags und Foren zu ver­ber­gen. Das erste Post­ing auf 4chan zu Sweet Baby Inc. demon­stri­ert dies ein­deutig: „Ever won­dered why every west­ern game feels like it was writ­ten by the same blue haired twit­ter *t‑slur*? That’s because it actu­al­ly is, lmao.“

Die Kam­pagne wurde mit Wider­stand gegen “woke games” begrün­det. Spätere Ver­schwörung­spro­pa­gan­da bezo­gen sich direkt auf das Trump­is­tis­che Nar­ra­tiv des “Deep State” (eine Kabale aus Geheim­di­en­sten und Bürokrat­en) als Feind der extremen Recht­en und anti­semi­tis­chen Mustern ein­er aus dem Schat­ten her­aus agieren­den Welt­fi­nanz.

Wer keinen Bezug zu oder kein Wis­sen über diese recht­sex­tremen Stich­worte besaß, kon­nte keinen Anschluss an die Kam­pagne find­en, poli­tisch Ander­s­denk­ende erst recht nicht. Damit war die Anzahl der poten­tiellen Teilnehmer*innen der Kam­pagne von Beginn an begren­zt. Obwohl es Befürch­tun­gen ein­er weit­eren Eskala­tion gab, kon­nte auch der Ein­satz von recht­en Influencer*innen diese nicht herbeiführen.
Rechte und recht­sex­treme Net­zw­erke außer­halb des Gam­ing wiederum sahen ver­mut­lich keinen Grund ihre Ressourcen für die Kam­pagne einzuset­zen. Ziele und Inter­essen der Kam­pagne waren zu obskur und selb­stre­f­er­en­tiell für das bre­it­ere rechte poli­tis­che Spektrum.

Die Par­al­le­len zu ur-Gamer­Gate waren nicht nur im Namen, son­dern auch in den Meth­o­d­en offen­sichtlich. Kri­tis­che Journalist*innen grif­f­en genau das frühzeit­ig auf und leis­teten Aufk­lärungsar­beit, auch wenn sie damit oft selb­st zu Angriff­szie­len wurden.

Umso unrühm­lich­er fällt im Ver­gle­ich die man­gel­nde Hand­lungs­bere­itschaft großer Plat­tform­be­treiber wie Valve und Dis­cord auf: Obwohl bei­de Fir­men aus ur-Gamer­Gate gel­ernt haben soll­ten, agierten sie spät bis gar nicht und ließen es zu, dass sich der Mob über ihre Plat­tfor­men fand und organ­isierte. Das­selbe gilt – wie immer – auch für YouTube und Twitch, die sich eben­falls weit­er­hin als Pro­pa­gan­da-Plat­tfor­men für diese und ähn­liche Kam­pag­nen her­gaben und ‑geben. Den Plat­tfor­men, die so agieren, kann man unter­stellen, dass sie ihre kom­merziellen Inter­essen an einem recht­sex­tremen Pub­likum und recht­sex­tremen Inhal­ten über ihre Ver­ant­wor­tung für eine Gam­ing-Com­mu­ni­ty ohne Hass und Ter­ror gestellt haben.

Was von Gamer­Gate 2.0 bleiben wird, sind die Spuren des Ter­rors, den die Opfer ertra­gen mussten und lei­der teil­weise immer noch müssen. Doch zugle­ich hat Gamer­Gate 2.0 demon­stri­ert, dass recht­sex­treme Com­mu­ni­ties im Gam­ing nur dann an den Main­stream anschließen kön­nen, wenn es ihnen gelingt (wie bei ur-Gamer­Gate) ihre eige­nen Ziele zu ver­heim­lichen. Rechte Parolen und Schlag­worte alleine führen nicht zum Ziel.

Der bere­its erwäh­nte Fall Shur­jo­ka demon­stri­ert, wie dies in Deutsch­land gelun­gen ist. Desin­for­ma­tion und die Beteili­gung ver­meintlich „neu­traler Beobachter“ haben dafür gesorgt, dass Shur­jo­ka auch außer­halb der recht­sex­tremen Bub­ble ange­grif­f­en wird.

Gam­ing wird also auch weit­er u. a. mit recht­sex­tremen Kam­pag­nen zu kämpfen haben, aber Gamer­Gate 2.0 wird trotz­dem nicht mehr als eine Fußnote in die Videospielegeschichte bleiben.