History does not repeat itself, but it rhymes.
Mark Twain (zugeschrieben)
Vor fast genau 10 Jahren nahm GamerGate seinen Anfang. Hinter dem Label und dem Hashtag verbarg sich damals vor allem ein rechtsextremer Online-Hetzmob. Unter dem Deckmantel der „ethics in video game journalism“ machte er Jagd im Allgemeinen auf alles, was die Vertreter*innen der Kampagne als links wahrnahmen – im Besonderen auf Frauen. Darum soll es an dieser Stelle aber nicht weiter gehen, denn über GamerGate ist nach zehn Jahren fast alles gesagt. Auch wir haben schon vor einigen Jahren ein ausführliches Dossier über die Kampagne veröffentlicht.
Bereits mehrfach haben rechtsextreme Gamer*innen versucht, eine Fortsetzung von ur-GamerGate zu inszenieren. Das sogenannte „GamerGate 2.0” ist der neueste Anlauf.
Diese Kampagne, so viel können und müssen wir voranstellen, kann bisher in keinerlei Hinsicht mit der Reichweite und dem Schaden von ur-GamerGate in 2014 mithalten, sondern bestätigt mehr die steigende Irrelevanz dieser Strömung reaktionärer Spieler*innen im Gaming im Allgemeinen. Trotzdem ist es ist kein Zufall, dass Vertreter*innen der Kampagne das GamerGate-Label bewusst unter demselben Hashtag noch einmal zu verwenden versuchen. Dass ihnen das nicht auf dieselbe Weise wie vor 10 Jahren zu gelingen scheint, hat unterschiedliche Gründe. Doch um diese Gründe zu verstehen, hilft es, einen groben Überblick über die Ereignisse von GamerGate 2.0 zu haben. Dies ist das Ziel dieses Artikels, samt einer kritischen Einordnung der Akteure und ihrer Angriffsziele.
Inhalt
Was ist „GamerGate 2.0“?
Anfang März 2024 versammelte sich ein Online-Hetzmob unter dem Banner „GamerGate 2.0“. Der Mob richtete sich gegen Sweet Baby Inc., eine kleine Beratungsfirma aus Kanada, die als externer Serviceanbieter Spielehersteller bei der Entwicklung von Geschichten unterstützt.
Dem Unternehmen wurde alles vorgeworfen, was für die extreme Rechte ein rotes Tuch darstellt: Sweet Baby Inc. soll Schwarze Figuren in Spiele eingeführt haben; die Firma soll sich für LGBTQIA+-Repräsentation eingesetzt haben; sie soll „Wokismus“ repräsentiert haben und weiße Menschen unterdrücken. Und das alles im Auftrag der Weltfinanz und des „Deep State“.
Egal, wie abstrus die Vorwürfe waren: Es dauerte nicht lange, bis die ersten rechten bis rechtsextremen Sympathisant*innen wie etwa Elon Musk und Matt Walsh den Mob bemerkten und ihm zusätzliche Sichtbarkeit gaben. Wie schon bei ur-GamerGate sahen sich schnell nicht nur konkrete Entwickler*innen oder Firmen, sondern auch Journalist*innen und Wissenschaftler*innen dem Online-Terror des Mobs ausgesetzt. Sie wurden offline und online mit Hass überzogen.
Doch während ur-GamerGate für Monate, wenn nicht sogar Jahre tobte, war GamerGate 2.0 Ende März schon wieder die Luft ausgegangen.
Was ist Sweet Baby Inc. und wie wurden sie zum Ziel von „GamerGate 2.0“?
Entgegen vieler Darstellungen beginnt der Hass auf Sweet Baby Inc. nicht erst im März 2024, sondern bereits im Oktober 2023 und damit ein halbes Jahr früher. Die genaueren Umstände sind nicht ganz klar, vermutlich besteht allerdings ein direkter Zusammenhang zum Launch des Playstation-Titels „Spider-Man 2“. Denn das Spiel war bereits früh ins Visier rechtsextremer Kreise geraten: Einerseits durch den Schwarzen Co-Protagonisten Miles Morales, andererseits durch im Spiel an mehreren Stellen platzierte Regenbogenflaggen. Beides war besonders rassistischen und queerfeindlichen Gamergruppen ein Dorn im Auge. So weit, so wenig überraschend, denn diese Gruppen empören sich recht regelmäßig über Elemente in Spielen, die nicht in ihr Weltbild passen. Egal, ob sie wütend werden, weil Angrboda in „God of War: Ragnarök“ von einer Schwarzen Frau verkörpert wird, oder sich lautstark über ein lesbisches Paar in der Hauptquest von „Baldur’s Gate 3“ aufregen. Was in „Spider-Man 2“ nun anders war: Im Abspann des Spiels findet sich auch Sweet Baby Inc., die Insomniac Games, das Studio hinter dem Spiel, beraten hatten.
Dies fällt erstmals einem anonymen User der bei Rechtsextremen beliebten Plattform 4chan auf: Ein entsprechendes Posting findet sich dort Ende Oktober und wird noch am selben Tag von dem während ur-GamerGate gegründeten Reddit-Forum r/KotakuInAction aufgegriffen. Die entsprechenden Verschwörungstheorien um Sweet Baby Inc. finden sich bereits hier: Sweet Baby Inc. soll angeblich für die „woken“ Elemente in „Spider-Man 2“ verantwortlich sein. Auch in anderen Spielen soll Sweet Baby Inc. dafür verantwortlich sein, dass in ihnen Schwarze Figuren und LGBTQIA+-Inhalte auftauchen.
Dazu gehören etwa “Alan Wake II” oder “God of War: Ragnarök”, an denen Sweet Baby Inc. mitgearbeitet hatte: Auch hier wird der Firma vorgeworfen, diese Spiele mit „woken Inhalten“ unterwandert zu haben. Der Rassismus ist sofort offensichtlich, denn in beiden Fällen beziehen sich die Kernvorwürfe der Rechtsextremen auf das Auftauchen von Schwarzen Spielfiguren in diesen Spielen. Deren Vorhandensein sei ein “Beweis” für „forced diversity“, eine klassische Verschwörungspropaganda, um das Auftauchen nicht-weißer Figuren zu erklären. Die GamerGater*innen sind sich einig: Das sei gleichzusetzen mit mangelnder Qualität dieser Spiele.
Es dauert nur zwei Tage, bis die Vorwürfe gegen Sweet Baby Inc. in dem Hetzforum KF landen, dessen Namen wir hier bewusst abkürzen. KF ist bekannt für seine gnadenlosen Onlinekampagnen, die bereits mehrfach zu Todesopfern geführt haben. Im Deutschen Kontext ist KF durch seine Beteiligung an der Kampagne gegen den “Drachenlord” aufgefallen. Auf KF werden sofort persönliche Informationen und Kontaktdaten der Mitarbeiter*innen von Sweet Baby Inc. geteilt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt, am 28.10.23, beginnt die Hetzkampagne gegen Sweet Baby Inc. Im Laufe der kommenden Monate schwankt deren Intensität noch. Rechte Influencer*innen auf YouTube und anderen Plattformen greifen das Thema immer wieder auf, allerdings ebbt das Interesse auch wieder ab.
Februar 2024: Die Kampagne wandert zu Steam
Dies ändert sich am 29. Februar 2024: Drei Tage zuvor war auf Steam eine Kurations-Liste mit dem Namen „Sweet Baby Inc. detected“ angelegt worden, die Spieler*innen vor jenen Spiele warnen soll, an denen Sweet Baby Inc. mitgearbeitet hat. Ein Mitarbeiter der Firma reagiert auf X/Twitter wütend darauf. Er fordert seine Follower*innen auf die Liste bei der Steam-Betreiberfirma Valve zu melden. Nach aktuellem Stand (Mai 2024) ist die Liste noch immer aktiv und wird weiterhin aktualisiert. Valve ist weiterhin nicht eingeschritten.
Die Rechtsextremen erkennen in dem Aufruf auf X/Twitter ihre Chance zur Täter-Opfer-Umkehr: Sweet Baby Inc. ist in ihrer Erzählung jetzt nicht das Opfer einer monatelangen rassistischen und queerfeindlichen Hetzkampagne – nein, Sweet Baby Inc. greift Spieler*innen an und fordert Zensur ihrer angeblich berechtigten Vorbehalte!
Basierend auf diesem Narrativ baut die Kampagne jetzt um Sweet Baby Inc. ein abstruses Feindbild auf: Die Firma mit weniger als 20 Mitarbeiter*innen soll angeblich die gesamte Spielebranche im Auftrag von Investmentfirmen kontrollieren. Durch Sweet Baby Inc. würden Entwickler*innen und Studios dazu gezwungen, „woke“ Inhalte, d. h. v. a. Schwarze Figuren und/oder Repräsentation von Queerness, in ihre Spiele einzuführen.
Hier lässt sich auch ein entscheidender Unterschied zwischen ur-GamerGate und der neuen Kampagne bemerken: GamerGate war entschieden damit beschäftigt, misogyne Narrative zu verbreiten und Sexismus zu verteidigen, die neue Kampagne lässt besonders ihrem Rassismus freien Lauf. Sie stürzen sich besonders auf Schwarze Entwickler*innen. In ihren Verschwörungserzählungen unterstellen sie Sweet Baby Inc. und allen, die sie mit ihnen in Verbindung bringen, sie würden Rassismus gegen Weiße propagieren und/oder das Programm des „Großen Austausches“ vorantreiben wollen. Schon zu diesem Zeitpunkt bedient die Kampagne also ganz klar bekannte Verschwörungserzählungen.
Anfang März 2024: Der Name „GamerGate 2.0“ taucht auf
Der Onlineterror gegen Sweet Baby Inc. eskaliert nun: Die Mitarbeiter*innen der Firma (beziehungsweise jene, die das zu diesem Zeitpunkt noch nicht getan hatten) sehen sich gezwungen, ihre Social-Media-Profile auf privat zu stellen, während die Rechtsextremen ihre persönlichen Daten nutzen, um sie zu bedrohen: Sie werden bei Geschäftspartner*innen diffamiert; Familienmitglieder werden hineingezogen und ebenfalls bedroht; Adressen der Opfer werden geteilt, um sie an deren Wohnort aufzusuchen oder sie zu „swatten“ (Missbrauch von Notrufen, um Polizeieinsätze zu provozieren). Auch Sweet Baby Inc. wird Opfer eines Swattings. Die Taktiken sind dieselben, wie während ur-GamerGate: Das Leben der Opfer soll zerstört werden.
Als Nukleus der Kampagne kristallisieren sich eine Forengruppe auf Steam sowie ein Discord-Server heraus, die sich sofort mit antisemitischem und neonazistischem Material füllen. Hier stacheln sich die Rechtsextremen immer weiter an und teilen Informationen zu Sweet Baby Inc. und deren Mitarbeiter*innen. Rechte Influencer*innen steigern die Aufmerksamkeit durch eine Flut an Videos auf Youtube.
Im Gegensatz zu ur-GamerGate, das lange unterhalb des Radars der Presse stattfinden konnte, greifen bereits Anfang März die ersten Games-Medien die Kampagne als Thema auf und berichten darüber. Dies resultiert darin, dass viele der Journalist*innen selbst zur Zielscheibe der Kampagne werden. Auch die Deutsche Games-Website GameStar wird so zu einem Angriffsziel.
Es ist die englische Zeitung The Guardian, die erstmals im Rückblick auf ur-GamerGate von „GamerGate 2.0“ spricht. Die Rechtsextremen übernehmen begeistert die Bezeichnung. Schlagartig nimmt auch das Postvolumen unter #GamerGate2 auf X/Twitter zu.
Die kritische Berichterstattung erfasst dabei vor allem aber nicht nur die Kampagne selbst, sondern auch die Mitveranwortung der Plattformbetreiber Valve und Discord: Valve schließt zwischenzeitlich die Forengruppe zu „Sweet Baby Inc. detected“, nur um sie dann aus unbekannten Gründen wieder zu öffnen. Discord zwingt die auf ihrer Plattform aktiven Rechtsextremen, neo-nazistisches und anti-semitisches Material zu löschen, erlaubt der Gruppe aber weiterhin, dort aktiv zu bleiben.
Dadurch kann die Kampagne sich ungehindert weiter auf diesen Plattformen organisieren.
Mitte März 2024: Die nächste Eskalationsstufe
Was bis Mitte März noch weitestgehend auf rechte Gamer-Kreise beschränkt war, nimmt eine neue Qualität an, als Influencer*innen der US-Amerikanischen Rechten die Kampagne unterstützen: X/Twitter-Besitzer Elon Musk promotet das Thema. Der Propagandist und selbsternannte Faschist Matt Walsh äußert sich und wirbt für Unterstützung. Rechtsextreme Accounts wie „EndWokeness“ und „LibsOfTikTok“ feuern die Kampagne an.
Die unter dem Namen „LibsOfTikTok“ agierende Influencerin Chaya Raichik bietet der Kampagne auch noch ein neues Ziel: In einem vor Desinformation strotzenden Tweet wird die queere, Schwarze Spieleentwicklerin Dani Lolanders angegriffen. Lolanders hatte in der Vergangenheit als Indie-Developerin die queere Visual Novel “ValiDate” entwickelt und veröffentlicht. In einem Gespräch hatte sie sich dazu geäußert, dass sie vor allem andere queere, Schwarze Entwickler*innen für die Mitarbeit an diesem Spiel ausgewählt hatte. In einer absurden Verzerrung der Tatsachen wird Lolanders von Raichik als Lead Developerin bei dem Publisher EA dargestellt und behauptet, dass Lolanders Aussagen über “ValiDate” die von Lolanders durchgesetzten Einstellungskriterien bei EA seien: Also dass der Milliarden-Konzern EA nur noch queere, Schwarze Mitarbeiter*innen einstellen würde.
Zwar arbeitet Lolanders tatsächlich inzwischen als Autorin für EA, allerdings ist sie in keiner Position um Mitarbeiter*innen bei EA einzustellen. Ihre Aussagen bezogen sich auch ausdrücklich auf “ValiDate” und nicht auf ihre Arbeit bei EA. Raichik verdreht bewußt Tatsachen, um Hass auf Lolanders zu schüren. Die Kampagne stieg darauf ein und griff Lolanders vor allem mit dem Vorwurf des „Rassismus gegen Weiße” an.
Zeitgleich wird auch die Extremismusforscherin Rachel Kowert angegriffen: Kowert hatte bereits zu ur-GamerGate Forschungsarbeit betrieben und später die Initiative Take This gegründet. Diese Initiative vereinigt Akademiker*innen und Spielestudios, um Extremismus und Radikalisierung in Games und Gaming Communities zu erforschen.
Take This positioniert sich in einem allgemeinen Statement öffentlich gegen GamerGate 2.0 und Kowert teilt den Link über ihren persönlichen Account auf X/Twitter. Daraufhin stürzt sich der Mob sowohl auf die Initiative als auch auf Kowert persönlich.
Mit einem Mal werden jetzt Kowert und ihre Arbeit zum Kern einer neuen Verschwörungserzählung, nach der sie in Zusammenarbeit mit dem US-Amerikanischen Department of Homeland Security die Unterwanderung der Videospieleindustrie betreiben soll. Tatsächlich hat Take This bereits Ende die Zusage für 2022 Forschungsgelder vom Department of Homeland Security erhalten, um extremistische Gruppen in Gaming-Kontexten monitoren und Antiradikalisierungsworkshops entwickeln zu können. Solche Anträge und Forschungsgelder sind in der Wissenschaft normal und bedeuten nicht, dass Take This mit dem DHS kooperieren würde. Sie sind die logische Folge daraus, dass Staaten weltweit inzwischen Gelder bereitstellen, um Radikalisierung online, inklusive in Gaming-Communitys, erforschen zu lassen. Trotzdem ist der Angriff auf Kowert ein weiterer Meilenstein für GamerGate 2.0, denn jetzt stürzt sich – nach Entwickler*innen und Journalist*innen – die Kampagne auch zum ersten Mal aktiv auf Wissenschaftler*innen.
Auch weitere Netzwerke und Initiativen gegen Extremismus werden hineingezogen: Das Extremism and Gaming Research Network, die Anti-Defamation League, die Consultancy-Firma Black Girl Gamers, die Games Developer Conference, das Global Project Against Hate And Extremism und die International Games Developer Association. Sie alle werden zum Teil einer Propagandaerzählung über eine Verschwörung von Staat, Entwickler*innen, Journalist*innen und Forschung gegen „die Gamer“ gemacht. Ende März 2024 kursieren verschiedene Grafiken und Videos, in denen diese Querverbindungen visualisiert und eine große Verschwörung bewiesen werden soll. Auch deutsche Projekte wie Keinen Pixel dem Faschismus, Good Gaming und die Amadeu-Antonio-Stiftung werden Teil der Verschwörungsnarrative.
Ende März 2024: Die Luft ist raus
Während die Kampagne sich immer weitere Ziele sucht, drängen in der Zwischenzeit auch immer mehr Akteure auf den Plan. Viele von ihnen stammen aus dem Umfeld von ur-GamerGate: Sargon of Akkad, Mark Kern (auch bekannt unter seinem X/Twitter-Namen Grummz) oder Boogie2988 sehen eine Chance, wieder Relevanz zu erlangen. Das Resultat ist eine zunehmend unübersichtliche Lage, wo unterschiedlichste Interessen kollidieren.
Die Kampagne verliert dabei immer stärker an Fokus. Die Anzahl der Ziele geht in die Dutzende: Sie umfasst Spieleentwickler*innen, Studios, Consultancy-Firmen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen, NGOs und mehr. Die Kampagne will „Wokismus“ im Gaming bekämpfen. Doch der inhaltsleere Begriff ist zu vage, um daraus konkrete Strategien abzuleiten. GamerGate 2.0 bildet keine robusten Bündnisse mit anderen rechten, „anti-woken“ Strömungen, die das auffangen könnten. Schon Mitte März überwirft sich die Kampagne z. B. mit Matt Walsh, nachdem dieser sie eigentlich zunächst unterstützt hatte. Er schreibt daraufhin auf X/Twitter, der Backlash von GamerGate 2.0 sei „truly the dumbest outrage I’ve ever encountered in my life. And man is that really saying something.“ Selbst weitere Unterstützung durch Elon Musk kann nicht verhindern, dass der rechtsextreme Mob sich verläuft.
Spätestens nach Ostern 2024 wird selbst den Stichwortgeber*innen klar, dass GamerGate 2.0 die Luft ausgegangen ist. Mark Kern, der sich längst in den Vordergrund der Kampagne gedrängt hat, beklagt sich auf X/Twitter lautstark über vermeintliche „Shadowbans“, weil seine Tweets nicht mehr so viele User wie zuvor erreichen würden. Zugleich geben viele rechtsextreme Accounts die Verwendung der Hashtags #GamerGate und #GamerGate2 wieder auf.
Zwar ist es weiterhin lukrativ für rechte Influencer*innen (etwa auf Youtube), Content zu der Kampagne zu produzieren, dieser hat jedoch kaum neue Inhalte zu bieten. Es handelt sich um typischen „Outrage Content“: Inhalte, die darauf setzen, die Empörung der Zuschauer*innen anzufachen und dadurch Interaktionen und Kommentare zu provozieren. Doch diese Videos können nur bereits bekannte Informationen neu verpacken.
Stichworte wie „Sweet Baby Inc.“ fördern auf Youtube zwar weiterhin unzählige neue Videos zutage. Nur etablierte rechte Influencer*innen, die bereits über Aufmerksamkeit in ihrem vorhandenen Publikum verfügen, erreichen allerdings noch ein größeres Publikum.
Andere, später ausgegebene Ziele der Kampagne wie etwa die Consultancy-Firma NNESAGE, die ähnliche Services anbietet wie Sweet Baby Inc., die Community Black Girl Gamers oder die Wissenschaftlerin Rachel Kowert funktionieren als anheizendes Thema auf Plattformen wie YouTube offensichtlich nicht.
Die Akteure des rechtsextremen Mobs versuchen stattdessen, Anschluss an andere populäre Themen zu finden: Eine Community-Managerin des überaus populären Spiels „Helldivers 2“ wird zu einem Angriffsziel, weil sie sich öffentlich über Moderationskriterien äußert und erklärt, dass Hate Speech aus der Community des Spiels entfernt wird. Das Studio unterstützt seine Mitarbeiterin und ignoriert die Angriffe.
Mit anderen Worten: GamerGate 2.0 gelingt es nicht mehr, eigene Themen zu setzen und es erreicht damit seinen vorläufigen Endpunkt.
Ein Fazit (für den Moment)
Die Gefahren, die von rechtsextremen Onlinemobs ausgehen, sollen keinesfalls verharmlost werden: Personen, die sich als deren Ziele wiederfinden, sehen sich einer Flut an Hass und Drohungen ausgesetzt. Nicht selten wird ihr soziales Umfeld auch außerhalb von Online-Medien in Mitleidenschaft gezogen. Methoden und Ziele sind hierbei seit ur-GamerGate in 2014 im Kern unverändert geblieben: Politisch motivierter Online-Terror soll Personen ausgrenzen und mundtot machen. Dies entspricht der klassischen Funktion von Terror: Das beobachtende Publikum soll eingeschüchtert werden, um sich (in diesem Fall) nicht gegen Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und/oder rechtsextremen Hass im Allgemeinen einzusetzen. Diese Strategien werden von rechten und rechts-konservativen Akteuren beispielsweise auch gegen die deutsche Streamerin Shurjoka eingesetzt.
Die Opfer derartiger Kampagnen benötigen weiterhin Unterstützung und Schutz gegen rechtsextreme Online-Mobs.
Obwohl im Falle von GamerGate 2.0 auch Influencer*innen des rechten bis rechtsextremen Mainstream in den USA (z. B. Musk, Walsh, Raichik) versucht haben, den Mob zu unterstützen, hat deren Einsatz nur kurzfristige Effekte gezeigt: Der GamerGate 2.0‑Kampagne gelang es nicht, in den Mainstream vorzustoßen und dort weitere Unterstützer zu rekrutieren. Im Gegensatz zu ur-GamerGate hat GamerGate 2.0 die meiste Zeit kaum mehr als bekannt rechtsextreme Gamerkreise mobilisieren können.
Genau das unterscheidet GamerGate im Jahr 2014 von GamerGate im Jahr 2024: Ur-GamerGate gelang es 2014 mit dem bewusst vagen Slogan der „Ethics in Video Games Journalism“, eine breite Masse an Spieler*innen zu erreichen und so für sich zu mobilisieren. Das gelang GamerGate 2.0 gut zehn Jahre später nicht mehr.
Die Gründe dafür dürften vielfältig sein. Ein Faktor ist sicher der Bedeutungsverlust von X/Twitter; ein anderer die Gamesbranche und die Gamespresse selbst, die sich dieses Mal deutlich weniger darauf eingelassen haben, der Kampagne einen Anschein von Legitimität zu geben. Doch das Scheitern von GamerGate 2.0 liegt nicht zuletzt auch am selbsterschaffenen Image der Kampagne: Der Angriff auf Sweet Baby Inc. strotzte von Anfang an vor Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit. Unter den aktiven Poster*innen gab es nur wenig Bemühungen, das in den einschlägigen Hashtags und Foren zu verbergen. Das erste Posting auf 4chan zu Sweet Baby Inc. demonstriert dies eindeutig: „Ever wondered why every western game feels like it was written by the same blue haired twitter *t‑slur*? That’s because it actually is, lmao.“
Die Kampagne wurde mit Widerstand gegen “woke games” begründet. Spätere Verschwörungspropaganda bezogen sich direkt auf das Trumpistische Narrativ des “Deep State” (eine Kabale aus Geheimdiensten und Bürokraten) als Feind der extremen Rechten und antisemitischen Mustern einer aus dem Schatten heraus agierenden Weltfinanz.
Wer keinen Bezug zu oder kein Wissen über diese rechtsextremen Stichworte besaß, konnte keinen Anschluss an die Kampagne finden, politisch Andersdenkende erst recht nicht. Damit war die Anzahl der potentiellen Teilnehmer*innen der Kampagne von Beginn an begrenzt. Obwohl es Befürchtungen einer weiteren Eskalation gab, konnte auch der Einsatz von rechten Influencer*innen diese nicht herbeiführen.
Rechte und rechtsextreme Netzwerke außerhalb des Gaming wiederum sahen vermutlich keinen Grund ihre Ressourcen für die Kampagne einzusetzen. Ziele und Interessen der Kampagne waren zu obskur und selbstreferentiell für das breitere rechte politische Spektrum.
Die Parallelen zu ur-GamerGate waren nicht nur im Namen, sondern auch in den Methoden offensichtlich. Kritische Journalist*innen griffen genau das frühzeitig auf und leisteten Aufklärungsarbeit, auch wenn sie damit oft selbst zu Angriffszielen wurden.
Umso unrühmlicher fällt im Vergleich die mangelnde Handlungsbereitschaft großer Plattformbetreiber wie Valve und Discord auf: Obwohl beide Firmen aus ur-GamerGate gelernt haben sollten, agierten sie spät bis gar nicht und ließen es zu, dass sich der Mob über ihre Plattformen fand und organisierte. Dasselbe gilt – wie immer – auch für YouTube und Twitch, die sich ebenfalls weiterhin als Propaganda-Plattformen für diese und ähnliche Kampagnen hergaben und ‑geben. Den Plattformen, die so agieren, kann man unterstellen, dass sie ihre kommerziellen Interessen an einem rechtsextremen Publikum und rechtsextremen Inhalten über ihre Verantwortung für eine Gaming-Community ohne Hass und Terror gestellt haben.
Was von GamerGate 2.0 bleiben wird, sind die Spuren des Terrors, den die Opfer ertragen mussten und leider teilweise immer noch müssen. Doch zugleich hat GamerGate 2.0 demonstriert, dass rechtsextreme Communities im Gaming nur dann an den Mainstream anschließen können, wenn es ihnen gelingt (wie bei ur-GamerGate) ihre eigenen Ziele zu verheimlichen. Rechte Parolen und Schlagworte alleine führen nicht zum Ziel.
Der bereits erwähnte Fall Shurjoka demonstriert, wie dies in Deutschland gelungen ist. Desinformation und die Beteiligung vermeintlich „neutraler Beobachter“ haben dafür gesorgt, dass Shurjoka auch außerhalb der rechtsextremen Bubble angegriffen wird.
Gaming wird also auch weiter u. a. mit rechtsextremen Kampagnen zu kämpfen haben, aber GamerGate 2.0 wird trotzdem nicht mehr als eine Fußnote in die Videospielegeschichte bleiben.